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Appenzeller Biber, Biberli

Appenzeller Biber, Biberli

In Kürze

Der Appenzeller Biber ist ein braunes, mit einer Mandelmasse gefülltes Lebkuchengebäck mit gemodelter Oberfläche. Da sich jede Bäckerei an ihr eigenes Hausrezept hält, schmeckt kein Biber wie der andere.

Mit dem St. Galler Biber existiert ein Zwillingsbruder des Appenzeller Bibers. Weit weniger ähnlich ist dagegen der Biberfladen, der grundsätzlich ungefüllt und luftiger ist, weil er Eier enthält. Auch wird er nicht in ein Model gedrückt.

Das Biberli, die Kleinform des Bibers, ist handtellergross. Im Gegensatz zum Biber, der als Festtagsgebäck gilt, trifft man das Biberli typischerweise schweizweit in unzähligen Beizen an. Diese „Beizen-Biberli“ werden von einer industriell geführten Bäckerei in Weissbad (AI) hergestellt. 

Die Erklärungen für die Bezeichnung Biber führen zu den Gewürzen. Möglicherweise ist es eine Herleitung vom lateinischen Ausdruck „piper“, was so viel wie Pfeffer bedeutet. Im Mittelalter verstand man unter Pfeffer Gewürze ganz allgemein. Für diese Theorie spricht der Umstand, dass Latein die Sprache der mittelalterlichen Klöster war, aus denen die Lebkuchengebäcke hervorgingen. In eine ähnliche Richtung geht die Erklärung von Albert Spycher in seinem „Ostschweizer Lebkuchenbuch“. Biber waren zuerst als Bimen- und dann als Bibenzelten bekannt. Bimen, so Spycher, komme vom lateinischen „pigmentum“ in der Bedeutung von Farbstoff oder Gewürz. Die Bezeichnung Biberzelten hingegen sei erst im 19. Jahrhundert aufgetaucht. Eine dritte Erklärung liefert schliesslich Karl Neff in einem Artikel des Appenzeller Kalenders aus dem Jahre 1937. Laut Neff ist der Begriff Biber „auf das mittelhochdeutsche bî-brot, d.h. Bienenbrot“ zurückzuführen. Ob unter einem Bienenbrot ein Honiggebäck zu verstehen ist, führt er aber nicht aus.

Beschreibung

Braunes, mit einer Mandelmasse gefülltes Honiggebäck, das mit einem Modelsujet versehen ist. Es gibt auch rechteckige, runde oder herzförmige Biber. Das Gewicht der jeweiligen Biber schwankt zwischen 80 Gramm und annähernd zwei Kilo.

Zutaten

Biberteig: Mehl, Zucker, Honig, Milch, Triebmittel; Gewürze wie Zimt, Nelken, Anis, Ingwer, Piment, Koriander, Kardamom und Sternanis.

Füllung: geschälte, gemahlene Mandeln, Zucker, Wasser, Bittermandeln, oder Zitronat und Orangeat.

Geschichte

Die Geschichte der Appenzeller Biber, so wie wir sie heute kennen, mit einer Mandelmasse gefüllt und gemodelt, geht ins 19. Jahrhundert zurück. Die ersten Schweizer Lebkuchen-Rezepte mit einer Mandelmasse als Füllung sind um das Jahr 1800 in St. Galler Kochbüchern zu finden. Davor kannte man Lebkuchengebäcke nur ungefüllt. Dass die ersten Lebkuchen-Rezepte mit einer Mandelmasse als Füllung um das Jahr 1800 auftauchen, ist sicherlich kein Zufall. Der darin enthaltene Zucker war lange Zeit ein sehr kostspieliges Gut, das aus Indien oder aus der Karibik importiert werden musste. Das änderte sich im beginnenden 19. Jahrhundert, als die industrielle Gewinnung von billigem Zucker aus der heimischen Runkelrübe einsetzte.

Die erwähnten Kochbücher geben einen Hinweis auf die Herkunft der Biber. Die Bücher stammen, wie erwähnt, aus St. Gallen: Ein klares Indiz dafür, dass die gefüllten Biber dort und nicht im Appenzellerland ihren Ursprung haben. Zu diesem Schluss kommt auch der Schweizer Gebäckforscher Max Währen in einem Artikel der Appenzeller Zeitung aus dem Jahre 1982: „Mit ziemlicher Bestimmtheit darf angenommen werden, dass der Appenzeller Biber ein Bruder, und zwar ein ziemlich jüngerer Bruder des St. Galler Bibers ist.“

Bis die Appenzeller und St. Galler Biber Eingang in die Bäckerei- und Konditoreifachbücher fanden, dauerte es dann nochmals ein Jahrhundert. So hat Spycher gezeigt, dass die Appenzeller und St. Galler Biber erstmals im Jahre 1902 in einem Fachbuch auftauchen. Regelmässig in Erscheinung treten die gefüllten Biber aus Appenzell oder St. Gallen in der Fachliteratur erst ab den 1920er-Jahren.

Lebkuchengebäcke gab es im Appenzellischen aber sehr wohl schon vor dem 19. Jahrhundert. Die erste schriftliche Appenzeller Lebkuchen-Quelle stammt aus dem Jahre 1597. Sie erwähnt ein Verbot eines scheinbar populären Glückspiels mit „piperzelten“, wie Spycher berichtet. Beim so genannten „omlegge“ (umlegen) verteilte jemand eine Hand voll „Pfefferkuchen“ an die Herumstehenden. Wer als letzter an die Reihe kam, hatte für das Verteilte aufzukommen. Ein süsser, aber teurer Spass…

Produktion

In der besuchten Bäckerei in Steinegg bei Appenzell enthält der Biberteig folgende Zutaten: Weizen- und Dinkelmehl, Milch und etwas Wasser, Bienenhonig und Zucker, Triebmittel sowie eine Gewürzmischung. Sie ist geprägt von orientalischen Gewürzen wie Zimt, Nelken, Anis, Ingwer, Piment, Koriander, Kardamom und Sternanis. „Früher haben wir den Honig übrigens mit dem Zucker aufgekocht, um ihn flüssig zu kriegen und so unter das Mehl zu mischen“, erzählt der besuchte Bäcker. „Heute beziehen wir über die Einkaufsgenossenschaft Honig aus Guatemala, und der ist flüssig genug, um ihn ungekocht zu verwenden.“

Der hellbraune und äusserst kompakte Teig wird nach dem Mischen und Kneten für eine Nacht in die Kühle gestellt, damit das Triebsalz den Teig ein wenig lockern kann. Es gibt aber auch Produzenten im Appenzellerland, die ihren Teig bis zu 14 Tage lagern. Diese verwenden Pottasche als Triebmittel; ein Calciumcarbonat das die nötige Kohlensäure zur Teiglockerung erst freisetzt, wenn die Milchsäuregärung einsetzt.

Für die Füllung werden geschälte und gemahlene Mandeln in einer Walze mit Zucker, Wasser, Bittermandelnessenz, Zitronat und Orangeat und nicht selten einem Schuss Kirsch zu einer sehr feinen Masse vermischt: „Wir sind sehr froh, können wir die Mandeln schon geschält beziehen, die mussten früher immer erst eingeweicht und dann von Hand geschält werden. Eine Heidenarbeit!“

Der nächste Produktionsschritt ist das Zusammensetzen der Biber, das noch immer mit viel Handarbeit verbunden ist, auch wenn der Teig in einer Ausrollmaschine zu einem etwa 2,5 Millimeter dicken Teigteppich gerollt wird. Aus diesem Teppich wird mit einem passenden Ausstecher das jeweils gewünschte Format zweimal ausgestochen. Einer dieser zwei Teigfladen wird dann auf den bemehlten Holzmodel gedrückt und beidhändig mit leichtem Finger- und Daumendruck so in die Vertiefungen gezwungen, dass sich das Sujet des Models plastisch im Teig abzeichnet. Den Teigdeckel lässt man im Model und bestreicht ihn schön gleichmässig mit der Mandelmasse, und zwar so, dass das Verhältnis von Füllung und Teig in etwa 40 zu 60 Prozent entspricht. Abschliessend wird der Teigboden schön fest und exakt draufgedrückt, um so die Luft aus dem entstehenden Biber zu pressen.

Ist der Biberteigling sorgfältig aus dem Model geklopft, „kneift man ihn“, wie der Produzent jenen Vorgang nennt, bei dem mittels stumpfer Klinge den ganzen Rand entlang kleine Einkerbungen in den Teigdeckel gedrückt werden. In manchen Bäckereien drückt man überdies geschälte Mandelkerne in die Ecken des Bibers. Bevor die gemodelten und zusammengesetzten Biber in den ca. 220 Grad heissen Ofen kommen, lässt man sie zwei bis drei Stunden ruhen. „Der Kleber im Teig erholt sich dann vom Ausrollen, wodurch die Teigstruktur nach dem Backen schöner ist. Wir bestreichen ihn vor dem Backgang auch mit Milch, was dem Biber einen schönen Glanz verleiht.“ Im Ofen bleiben sie, je nach Grösse, 15 bis 20 Minuten.

Die Biberli werden auf identische Art und Weise hergestellt, sie unterscheiden sich von den Bibern ja nur in der Grösse. In der besuchten Bäckerei werden die Biberli im Unterschied zu einigen anderen Bäckereien nicht gemodelt.

Noch ein Wort zu den Modeln, die längst auch aus Kunststoff und mancherorts als Stanzplatten in eine Maschine integriert sind. In beiden Halbkantonen existieren unzählige Sujets von unterschiedlichster Detailfülle. Häufig anzutreffen sind Trachtenfrauen, Handstickerinnen, Sennen, Wildkirchli und Säntisgipfel. Nie fehlen darf das Wappentier des Appenzellerlandes, der Bär mit herausgestreckter Zunge. Speziell ist dabei der Herisauer Bär, der mit einer Holzkeule ausgerüstet ist.

Konsum

Während die grösseren Biber vielfach als Geschenk dienen und vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit häufig konsumiert werden, laufen die kleinen Biberli im Sommer am besten. „Dann kommen die Touristen in unsere schöne Gegend, um zu wandern, und in den Ausflugsrestaurants gönnt man sich dann ein Biberli als Zwischenmahlzeit“, erzählt der Bäcker aus Steinegg, der diverse Restaurants mit seinen Biberli beliefert.

Entgegen der landläufigen Meinung halten Biber und allgemein Lebkuchen ohne Konservierungsstoffe nicht bis in alle Ewigkeit. „Wir empfehlen unseren Kunden, ihre Biber innerhalb von drei Wochen zu konsumieren. Danach beginnt besonders die Füllung auszutrocknen.“ Enthalten sie Konservierungsmittel, sind sie bedeutend länger haltbar. Am besten hält man sich an die Haltbarkeits-Angaben, die auf der Verpackung stehen.

Aufgeschnittene Biber sollten zur Aufbewahrung in Klarsichtfolie eingewickelt werden, damit sie nicht so schnell austrocknen.

Wirtschaftliche Bedeutung

Keine Bäckerei im Appenzellerland kommt am Biber vorbei, er gilt schliesslich als das Appenzeller Gebäck schlechthin. Dementsprechend gross ist die wirtschaftliche Bedeutung des Bibers – vor allem von Anfang November bis Mitte Januar. Dann stellt der besuchte Produzent bis zu 200 Biber pro Woche her, während es ansonsten rund 50 sind. Von den kleineren Biberli werden pro Woche etwa 200 Stück produziert.

Literatur

  • Spycher, Albert,   Leckerli aus Basel. Ein oberrheinisches Lebkuchenbuch,   Buchverlag Basler Zeitung,   Basel,   1991.  
  • Spycher, Albert,   Ostschweizer Lebkuchenbuch. St. Galler und Appenzeller Biber, Biberfladen und Verwandte,   Appenzeller Verlag,   Herisau,   2000.  
  • Krauss, Irene,   Chronik bildschöner Backwerke,   Hugo Matthaes Druckerei und Verlag GmbH & Co. KG,   Stuttgart,   1999.  
  • Hansen, Hans Jürgen,   Kunstgeschichte des Backwerks,   Gerhard Stalling Verlag,   Oldenburg,   1968.  
  • Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache,   Staub, Friedrich et al..  
  • Währen, Max, Hans Luginbühl, Bruno Heilinger et al.,   Lebkuchen einst und jetzt,   Luzern,   1964.  
  • Appenzeller Magazin 3/1998,   1998.  
  • Hürlemann, Hans,   Die Bräuche des Appenzellerlandes,   Urnäsch,   1978.  
  • Larese, Dino,   Guten Appetit. Eine bunte Folge Ostschweizer Spezialitäten,   Amriswil,   1952.  
  • Küng, Josef,   Unser Innerrhoden,   Appenzell,   2003.  
  • Bäuerinnenverband Appenzell Innerrhoden<BR />Landfrauenverband Appenzell Ausserrhoden,   Appenzeller Frauen kochen. 242 ausgesuchte und erprobte Rezepte von Bäuerinnen und Landfrauen aus den beiden Halbkantonen,   Oberdiessbach,   1998.  
  • Weiss, Martin,   Urchuchi. Schweizer Restaurants mit Geschichten und Gerichten. Deutschschweiz und Graubünden,   Rotpunktverlag,   Zürich,   2005.  
  • Fuchs, Mäddel,   Flickflauder und andere Appenzeller Eigenheiten,   Hotel Hof Weissbad,   Weissbad,   2005.  
  • Appenzeller Kalender 1937,   Trogen,   1937.  
  • Koller, Walter,   Vom Seelenbrot zum Fasnachtschüechli: Gaumenfreuden im winterlichen Brauchtum des Appenzellerlandes,   Appenzellerland 1970/1971,   Appenzell,   1970.  
  • Dorizzi, Irma,   Die Lebkuchenfibel,   Verlag Irma Christen-Dorizzi,   Basel,   1987.  
Konditorei- und Backwaren Drücken

Produktionsepizentrum

Die beiden Appenzeller Halbkantone

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