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Churer Beinwurst / Liongia cun ossa

Bündner Beinwurst, Prättigauer Beinwurst, Andutgel cun ossa

In Kürze

Die Beinwurst ist eine geräucherte Rohwurst, die aus gebeiztem Schweinefleisch – genauer aus klein geschnittenen Schulter-, Hals-, Rippen-, Schwanz-, Ohr- und Knochenstücken sowie dem Schnörrli – und einem Rinderdarm gefertigt ist. Die "klumpenförmige" Beinwurst ist in unterschiedlichen Grössen erhältlich, die von circa 350 Gramm bis 1200 Gramm reichen. Beinwürste gibt es fast im ganzen Bündnerland. Die Churer Beinwurst ist die bekannteste und beliebteste, deren Stückchen eher grob geschnitten sind. Fast ebenso bekannt ist die Prättigauer Beinwurst. Sie enthält zusätzlich etwas Schweinebrät.  

Der Name leitet sich von den für die Herstellung verwendeten Knochen – im Churer Dialekt "Bein" – ab.

Beschreibung

Die Bündner Beinwurst ist eine traditionelle Wurstspezialität aus Schweinefleisch, Schweinsschnörrli und –schwänzli, in Würfel geschnitten, mit diversen Gewürzen im Veltliner Wein eingelegt, welche in Handarbeit in einen Rinderdarm eingefüllt werden Die Beinwürste sind in unterschiedlichen Grössen: zu circa 350 Gramm, 600 Gramm oder 1200 Gramm) erhältlich. Der Prättigauer Beinwurst wird zusätzlich Brät untergemischt.

Zutaten

Schweinefleisch, Salz, Veltliner, Gewürze (Pfeffer, Salz, Koriander, Knoblauch und Muskat)

Geschichte

„Die Beinwurst ist die Königin, wohl unter allen Würsten, o rötlich, Fleisch und weisses Bein, sich spiegelnd im Veltlinerwein, ein Anblick hochentzückend, ein Schmausen herzerquickend.“ Solchermassen preist der Schriftsteller Emil Hügli (1873-1956) die Bündner Wurstspezialität in seinem „Beinwurstlied“, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts an den so genannten „Beinwurstabenden“ gesungen wird. Diese feucht-fröhlichen Männerabende, die im Spätherbst und Winter längst im ganzen Bündnerland und überall dort, wo sich Heimwehbündner in der Fremde treffen, stattfinden, haben ihren Ursprung in der Kantonshauptstadt. In Chur führte der Männerchor im Jahre 1879 den allerersten Beinwurstabend durch, die seither ähnlich deftig zelebriert werden, wie die dralle Festtagswurst-Wurst schmeckt.

Heute gilt die Beinwurst als Delikatesse. Doch das war nicht immer so. Ursprünglich bestand die Beinwurst ganz einfach aus all den Resten, die bei der herbstlichen Hausschlachtung des Schweins anfielen. Diese Reste wurden eingebeizt, geräuchert und dann „in der Gerstensuppe gegart“, und so „dem Gesinde serviert“, wie Anita Färber in ihrem Aufsatz „Beinwurst – Königin aller Würste“ ausführt. Mit der Produktionsverlagerung von der Haus- in die Berufsmetzgerei und der Verwendung von teureren Fleischstückchen stieg die ehemalige Gesindewurst wohl schon im 19. Jahrhundert zu einer echten Bündner Spezialität auf, der sogar eigene Lieder und Abende gewidmet wurden.

Das genaue Alter der Beinwürste lässt sich nicht mehr genau zurückverfolgen. Heinrich Zschokke, erwähnt in seinem im Jahre 1805 erschienenen Artikel "Ueber die Bündnerwürste" in der Zeitschrift „Der aufrichtige und wohlerfahrene Schweizer-Bote“ auch schon die Beinwurst. Die ehemalige Gesindewurst dürfte aber wesentlich älter sein, schliesslich wurde die herbstliche Schlachtung des Schweins, die „Metzgete“, seit Jahrhunderten im Bündnerland vollzogen.

Eine hübsche Geschichte über die Erfindung der Beinwurst findet sich in Fritz von Guntens im Jahre 2006 erschienenen Buch „Alles ist Wurst“. Sie geht zurück auf den Verseschmied von Malans, Herkules (Härtli) Schwarz, der im Jahr 1898 eine Erklärung für die Wurstentstehung veröffentlichte: Eines Winterabends kam Crispin, ein später von den Armen und Schustern verehrter Heiliger, hungernd und frierend nach Chur und bat im bischöflichen Schloss um Quartier und Zehrung. Der Kastellan aber fuhr den armen Schustergesellen mit groben Worten an, er solle sich zur Herberge scheren. Enttäuscht wandte sich Crispin Richtung Stadt und fand bei einem Taglöhner Unterkunft. Um diesen für seine Güte zu belohnen, schlich Crispin noch in derselben Nacht zum Schloss und stahl aus der Bischöflichen Rauchkammer ein geschlachtetes Schwein und Veltlinerwein. Dann „…schnitt er mit dem Messer in Stücklein das Schwein / – nichts ging unbenützt ihm verloren – / nicht Rücken, nicht Rippen, nicht Fleisch und nicht Bein, / nicht Schnörrli, nicht Schwänzli, nicht Ohren. / Die Stücklein salzte er tüchtig ein, / gab Pfeffer und Muskat dazu auch, / goss dann vom gestohlenen Weine darein / und würzte das Ganze mit Knoblauch. / Aus einer Zeitung von Pergament / formt er eine passende Hülle, / und spiesslet und bindet die beiden End, / im Innern das Beinfleisch als Fülle….“ Weil die Wurst nach einigen Tagen im Rauch so gut schmeckte, gaben sie das Rezept der köstlichen Beinwurst weiter, das sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt verbreitete ...

Nur eine einzige Metzgerei produziert heute noch Churer Beinwurst und um das Traditionsprodukt vor dem Aussterben zu retten und sie nachhaltig zu fördern, hat Slow Food 2010 ein Presidio gegründet. Dafür wurden die Mindestanforderungen formuliert, die es zur Herstellung braucht, und neue Verkaufskanäle lokalisiert für diese hauptsächlich von Männern geschätzte weil ziemlich deftige Wurst. Auch zusätzliche Produzenten werden gesucht.

 

Die Produzenten im neuen Presidio «Churer Beinwurst» verwenden für die Herstellung das Fleisch von Edel-, Land- und Ducaschweinen (Ducaschweine sind Kreuzungen zwischen den Rassen Duroc und Piétrain – laut Suisag, dem Dienstleistungszentrum für die Schweineproduktion, gibt es in der Schweiz keine Ducaschweine mehr). Die Tiere leben in Freilandhaltung oder auf Alpwiesen der Region.

Produktion

Ohne Erfahrung, Sorgfalt, Geduld und einer zünftigen Prise Leidenschaft entsteht keine gute Beinwurst. Sie enthält heute, anders als noch vor fünfzig Jahren, zwar keine Knochen mehr, allerdings dürfen bestimmte Schwarten-, Knorpel- und Fettteile nicht fehlen. "Die Wurst wird sonst zu trocken", bemerkt ein Produzent aus Chur zum Fettanteil in der Wurst. Mit dem Messer wird Schweinefleisch von Hals, Schulter und Brust in Würfel von ca. zwei bis drei Zentimeter geschnitten. Mit dem Fleischbeil werden Schnörrli und Schwänzli in ebensolche Stücke zerteilt. Alles zusammen wird dann in einer Beize aus Veltlinerwein, Nitritsalz, gemahlenem Pfeffer, Muskat, Koriander und Knoblauch während sechs Tagen bei ca. 8°C unter täglichem Wenden gebeizt. Nach dieser Phase werden die Fleischstücke, welche unterdessen fast die ganze Beize aufgenommen haben, in Rinds- oder Kalbsbodendärme gefüllt. Auch dieser Vorgang, wie alle andern Schritte auch, geschieht manuell, da beim Abfüllen sorgfältig darauf geachtet werden muss, dass Fleischstücke unterschiedlicher Qualität in der Wurst regelmässig verteilt zu liegen kommen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Wurst gleichmässig saftig ist und so höchsten Genuss bietet. Die Därme werden nun von Hand zugebunden. Anschliessend spült man die rundlichen, etwas unförmigen Würste mit kaltem Wasser ab, um so die Salzreste zu entfernen. Diese würden nämlich den darauffolgenden Räuchervorgang stören. Geräuchert wird in der hauseigenen Räucherkammer. Es ist eine Warm-Räucherung bei ca. 30-40 Grad Celsius während 12-15 Stunden, je nach Grösse der Wurst. Der Rauch wird mit Hilfe von Buchensägemehl hergestellt. Danach kühlen die Würste bei Raumtemperatur einen Tag lang ab. Nach dem darauf folgenden Durchkühlen bei sieben Grad sind die Churer Beinwürste für den Verkauf bereit.

Konsum

Die Beinwurst wird roh verkauft, muss aber vor dem Verspeisen während drei bis vier Stunden bei etwa 80 Grad im Wasser, oder noch besser in einer Gerstensuppe, ziehen.  Es sind die bereits angesprochenen Beinwurstabende, die sich vom Spätherbst bis Ende Winter im ganzen Bündnerland hinziehen, an denen die Beinwurst ihre grossen Auftritte hat. Wie feuchtfröhlich und deftig es an diesen Abenden zu und hergeht, veranschaulicht eine weitere Passage aus Emil Hüglis „Beinwurstlied“: „Die Beinwurst zeigt, nicht nur ihr Bein, sie stärkt auch andere Beine: Ward einem schwach vom starken Wein, sie hilft ihm schon alleine. Ward schwindlig ihm vom Rebensaft, die Beinwurst gibt ihm neue Kraft: Der kaum noch konnte stehen, nun kann er wieder gehen.“ Tatsächlich fliesst der Wein in Strömen und derbe Sprüche gehören fast schon zum guten Ton an den Beinwurstabenden, die jeweils unter dem Motto von Witz, Humor und auch Satire stehen.  

Gegessen wird die deftige Wurst mit Sauerkraut und Salzkartoffeln oder ganz traditionell zu einer Bündner Gerstensuppe, in der sie gesotten wird. Man soll die Beinwurst nach dem Sieden aber nicht einfach aufschneiden, wie man im Buch „Die Spezialitäten aus Graubünden“ erfährt: Wer sie also unbedarft ansticht,  „den bestraft sie unverzüglich mit einem Strahl ihrer fettigen Weinsauce, die man auch mit dem besten Fleckenentferner kaum mehr von den Kleidern bringt. Man tut also gut daran, die Anstichstelle mit Brot abzudecken“. Gleichwohl lassen sich ein paar Spritzer kaum vermeiden beim Beinwurstessen, aber heikel braucht ja nun wirklich keiner zu sein an so einem Abend.

Im Atlas der schweizerischen Volkskunde, der im Jahre 1950 erschienen ist, sich aber auf eine Umfrage aus den 1930er-Jahren bezieht, wird zudem erwähnt, dass das „Beinwurstessen“ die „Bündner in der Fremde (…) zusammenführt.“ 

Frauen sind der archaischen Wurst, die nach dem Schneiden mehr oder weniger in ihre Einzelteile zerfällt, offenbar weniger zugetan. „Die Beinwurst ist eine der letzten Männerbastionen“, hat ein Churer Metzger diesbezüglich festgestellt und erklärt es sich damit, dass die Wurst mit ihrem stattlichen Gewicht doch eher schwere Kost ist und sie neben magerem Fleisch auch Knochen und Schwarten enthält.

Wirtschaftliche Bedeutung

Die Zeit der Beinwurst ist kurz, aber intensiv. Zwischen Oktober und der Fasnachtszeit hat der von uns besuchte Churer Produzent alle Hände voll zu tun mit der aufwändig produzierten Wurst. In dieser Zeit verlassen nicht weniger als 1,5 Tonnen Beinwürste in den verschiedensten Grössen die Metzgerei. Das sind rund 3000 Würste.

Literatur

  • Atlas der schweizerischen Volkskunde,   Weiss, Richard und Paul Geiger,   Basel,   1950.  
  • von Gunten, Fritz,   Alles ist Wurst. Auf dem Wurstweg durch die Schweiz,   Bern,   2006.  
  • Dicziunari rumantsch grischun,   Società Retorumantscha,   Chur,   1939-2004.  
  • Schweiz. Gemeinnütziger Frauenverein Chur,   Koch-Rezepte bündnerischer Frauen,   Verlag der Sektion Graubünden,   Chur,   1905.  
  • Zschokke, Heinrich,   Lob der Bündner Würste,   Bündner Jahrbuch,   Chur,   1965.  
  • Die Spezialitäten aus Graubünden. Entstehung, Geschichte, Anekdoten,   Terra Grischuna Extra,   Chur,   1991.  
  • Terra Grischuna. Zeitschrift für bündnerische Kultur, Wirtschaft und Verkehr. Januar 1962,   Chur,   1962.  
  • Terra Grischuna. Zeitschrift für bündnerische Kultur, Wirtschaft und Verkehr. April 2003,   Chur,   2003.  
  • Andreas Heller,   Um die Wurst - Männerextrawurst,   NZZ Folio,   Zürich,   12/2004.  
  • Churermagazin. Für Freizeit und Lifestyle,   Casanova Druck und Verlag AG,   Chur,   12/1999.  
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Produktionsepizentrum

Beinwürste werden vorwiegend in Mittelbünden von ausgesuchten Produzenten hergestellt.

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