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Farina Bóna

Farina sec’a

Farina Bóna

In Kürze

“Farina bóna” ist ein Mehl aus geröstetem Mais und wird im Onsernonetal, im Locarnese, hergestellt. Bekannt ist es auch unter der Bezeichnung “Farina sec’a”, dem Mundartbegriff. Es handelt sich um ein dermassen ent­wässertes Mehl, dass man beim alleinigen Verspeisen der “Farina bóna” – d. h. Konsum ohne weitere Zutaten – das Risiko eingeht, zu ersticken.

Beschreibung

Es handelt sich um ein Maismehl, das man gewinnt, indem man die Kolben als Ganzes röstet und die Körner anschliessend sehr fein vermahlt.
Farbe: beige

Zutaten

Mais

Geschichte

Die Produktionsanfänge des “Farina bóna” im Onsernonetal sind nicht be­kannt. Einige Quellen deuten darauf hin, dass vor der Ankunft des Mais in den Tälern bereits geröstetes Roggenmehl produziert wurde. Das Rösten von Mais und von anderen Getreidearten vor dem Vermahlen ist eine Metho­de, die in verschiedenen Gegenden der Welt praktiziert wird, und ein Produkt erzeugt, das sofort konsumiert werden kann und lange halt­bar ist. Auf den Kanaren beispielsweise wird das “Gofio canario” mit der glei­chen Technik hergestellt, aber auch mit anderen Getreidesorten. 

Das erste Schriftstück über “Farina bóna” stammt aus dem 19. Jahrhundert. Serafino Schira aus Loco (1826-1914), von Beruf Buchhalter, berichtet in un­veröffentlichten, handgeschriebenen Heften einige Anekdoten über die Ge­schichte und den Lebensalltag seines Dorfs. In einem dieser Hefte, das von natürli­chen Hausmitteln und Kochrezepten handelt, beschreibt Serafino Schira das “Farina bóna”, seine Herstellungsweise und den Gebrauch. Nach­dem man die Maiskolben geröstet hat, sind die Körner trocken und wohlrie­chend. Sie werden in der Folge zu Mehl gemahlen – in der Feinheit ähnlich wie ein Seidenfaden. Dies wurde nur mit Mahlsteinen erreicht, die über eine dafür spezifische Furchung verfügten. Das Mehl, täglich ver­wendet, wurde mit Wein, Wasser oder Vollmilch vermischt und ist sehr nahrhaft. Ausserdem nennt Serafino Schira einige daraus abgeleitete Pro­dukte: “le Zambaiòn, la Pòlt, le Fiérz, les Mac’, le Chérscion”. Das erwähnte Heft ist undatiert; man vermutet, dass der Schreiber sich auf seine Jugendzeit bezieht, die ungefähr in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegen hat. 

Später findet sich eine Nennung des “Farina bóna” im “Lessico dialettale del­la Svizzera italiana”, das aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts stammt. Der Ausdruck “Farina bóna” wurde in Onsernone und in Cavigliano benutzt. In Russo und in Vergeletto, immer gemäss dem erwähnten Lexikon, nannte man das Mehl “Farina sec’a”, um es von der “Farina verda” zu unter­schei­den, welches ohne Röstung gemahlen und für die Polenta gebraucht wurde. Ausserdem findet man Hinweise auf ein ähnliches Mehl, das auch in Nach­bartälern – dem Val Maggia und dem Val Verzasca – produziert wurde. Im Val Maggia ist es unter anderen Namen bekannt: “Farina di cà”, “Farina rosti­da” oder “Farina scaldada”. 

Im Onsernonetal erinnern sich noch alte Menschen an Signora An­nun­ziata Terribilini, genannt Nunzia, verstorben 1957. Sie war die letze Müllerin der lokalen Mühle, die das “Farina sec’a” in der ersten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts herstellte.  Die vom Museum des Onsernonetals und des Schulinstituts in Isorno ge­machten Nachforschungen ermöglichten es, die Produktionsmethode des “Farina bó­na” aus dieser Epoche wieder originalgetreu nachzuvollziehen. Der Mais stammte hauptsächlich aus der Ebene des Locarnese und aus dem Tessin im Allgemeinen. Es scheint allerdings, dass man auch einen kleinen Teil des im Tal angebauten Mais verwendete. Die Hauptproduktionsperiode des “Farina bóna” war vermutlich September/Oktober. Die Zeit, in der der Mais zur Reife gelangte, sowohl in der Maga­dinoebene wie auch im Tal. Der Müllereibetrieb ruhte anschliessend während min­destens dreier Monate, weil durch die Frostperiode keine ausreichende Versorgung mit Wasser möglich war. 

Es gab überdies regionale Unterschiede in der Herstellungstechnik. Sie wer­den auf der dem Produkt gewidmeten Internetseite beschrieben: “In Verge­letto röstete die Nunzia den Mais so lange, bis ungefähr ein Drittel der Kör­ner aufgeplatzt war und eine Art Kamm gebildet hatten (von daher kommt in diesem Dorf die Bezeichnung “ghèl” – “Hahn” im lokalen Dialekt – für die während des Röstens aufgegangenen Körner).  Die Nunzia mahlte anschlies­send alles. Der letzte in Loco aktive Müller, Remigio Meletta, ent­fernte dagegen sorgfältig die aufgeplatzten Körner. So war es leichter, das Produkt zu mahlen, ohne dass die geplatzten Körner die Öffnung des Mahl­steins verstopften. Das Rös­ten erfolgte in den Talmühlen, in einer beson­deren Röstpfanne, die auf das offene Feuer oder in einen Holzbackofen ge­stellt wurde. Es dauerte ca. zehn Minuten, um die Körner zu rösten. Dann liess man sie abkühlen, bevor man sie mahlte.  

Das “Farina bóna” war ein täglich verwendetes Lebensmittel, eingesetzt vermutlich als Bindemittel bzw. um verschiedenen Speisen mehr Konsistenz zu geben. Man verzehrte es vermischt mit Wasser, Milch oder Wein, mit Zugabe von Hei­delbeeren oder Erdbeeren, gesalzen oder gezuckert.  

Die Herstellung des “Farina bóna” war vorübergehend unterbrochen, als die Müllereibetriebe Ende der Sechzigerjahre des letzten Jahrshunderts ihre Tätigkeiten einstellten. Seit 1991 – mit der Wiederinbetriebnahme der Mühle in Loco, ermöglicht durch das Museum des Onsernonetals – wird das “Farina bóna” erneut produziert. Seither gibt es dank des Engagements einiger Privatpersonen und des Schulinstituts in Isorno sowie aufgrund des Interesses der Schweizer Slow Food-Bewegung einen Aufschwung bei der Herstel­lung dieses Mehls wie auch bei den daraus erzeugten Produkten.

Das “Farina bóna” ist heute ein wichtiges Produkt und ein Symbol dafür, die wirt­schaftlichen und kulturellen Aktivitäten im Tal zu bewahren. Das “Farina bóna” wird in einer grossen Anzahl von Rezepten als Zutat ver­wendet.

Produktion

Heutzutage nimmt man für die Herstellung des “Farina bóna” lokalen Mais der Sorte “Ticino”. Er wurde vom Ingenieur Paolo Bassetti gezüchtet und wird in der Magadinoebene angebaut. Mit anderen Maissorten, bei­spiels­weise dem von der Organisation Pro Specie Rara geretteten Mer­goscia-Mais, wurde ebenfalls experimentiert. Ist der Mais reif, erntet man die Kolben und ent­körnt sie mit einer handbetriebenen oder einen maschinellen Vorrich­tung. Der Röstprozess der Körner erfolgt in einem Pfannentyp, den man auch beim Kaffeerösten einsetzt. Die Maiskörner werden auf mindestens 200° C erhitzt, bis ein Drittel der Körner übrigbleibt, die nicht “einen Kamm bilden” und zu Popcorn werden, analog der Zubereitungsart der Signora Nun­zia. Anschliessend mahlt man alle Körner, die aufgeplatzten und die geschlossen gebliebenen.

Das Fertigprodukt muss so feinkörnig sein, dass es beim Dazu­geben zum Wasser auf ihm schwimmt. Dieser Produktionsschritt erfolgt zur Zeit in einer elektrischen Mühle. Solange, bis die Mühle der Signora Nunzia mit ihren Mahlsteinen restauriert ist, weil man wieder mit der einstigen Feinheit mahlen können möchte: Die zentralen Elemente für den Erfolg die­ser Art des Mahlens werden ein besonderer Reguliervorgang und eine gleich­mäs­sige Wasserzuleitung sein. 

Einmal hergestellt, hält sich das “Farina bóna” während mindestens neun Monaten.

Konsum

Das “Farina bóna” wird für die Zubereitung ganz verschiedener Gerichte gebraucht: Für Glaçés (Eis), Bier, Grissinis, Bisquits (Kekse), Mousse, Kuchen, Breie, Spätzli, Würzmischungen, Brot oder Suppen. Als 2007 ein Wettbewerb für Profis und Amateure veranstaltet wurde, kreierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer begeistert originelle Rezepte. Die Rezepte wurden im Anschluss an den Wettbewerb in der Zeitschrift “Rezepte früher und heute” – einer im 2005 lancierten Publikation des Schulinstituts in Isorno – veröffentlicht. Alle Produkte werden grundsätzlich im Tal verkauft und konsumiert. Man findet sie jedoch auch im übrigen Lo­carnese und in anderen Regionen des Kantons.

Wirtschaftliche Bedeutung

Heute gibt es zwei Produzenten des “Farina bóna”; sie stellen zusammen jährlich etwas mehr als 2000 kg her. Die Herstellung erfolgt in Hand­ar­beit. 100 g des “Farina bóna” kosten ungefähr 1 Franken 70. Das “Farina bóna” wird in regionalen Geschäften und in einigen Supermärkten des Tes­sins vertrieben oder kann direkt bei den Müllereibetrieben in Loco und Ver­gelotto bezogen werden. Darüberhinaus ist das Lebensmittel seit 2008 Teil des Slow Food-Sortiments.

... anderes

Der Mais, eingeführt um 1600 in der Lombardei und im Sottoceneri, wird erst seit dem 19. Jahrhundert für die Erzeugung von Mehl verwendet. Am bekanntesten ist die Polenta. Vormals nahm man dafür Hirse. Der Maisan­bau für die Herstellung des Polentamehls wurde in den Sechziger­jahren des letzten Jahrshunderts aufgegeben.

Gegenwärtig ist der im Tessin angebaute Mais fast ausschliesslich für die Tierfütterung bestimmt. Doch seit den Neunziger­jahren des letzten Jahrhunderts wird in zahlreichen Initiativen versucht, die Maisproduktion für die menschliche Ernährung wieder anzukurbeln und da­für auch die lokalen Mühlen wieder in Betrieb zu setzen.

Literatur

  • Cattaneo, Maurizio et al. (coord.),   I cinque mulini di Vergeletto,   in: Nostro paese : bollettino bimestrale della Società ticinese per l’arte e la natura-STAN, no 153/154,   2006.  
  • Frasa, Mario, Grassi, Linda e Lurà, Franco (a cura di),   Parole in immagine. Le ricerche di Paul Scheuermeier nella Svizzera italiana 1920-1927,   Centro di dialettologia e di etnografia,   Bellinzona,   2008.  
  • Lurà, Franco (dir.), LSI,   Lessico dialettale della Svizzera italiana,   Centro di dialettologia e di etnografia, vol. 2 : coramín-ingrassaa,,   Bellinzona,   2004.  
  • Schira, Serafino<BR />(a cura degli allievi della scuola elementare di Isorno guidati dai docenti Ilario Garbani-Mercantini e Loretta Bressani Pedroli), La farina sec´a (farina bóna: ): ricette di ieri e di oggi, Loco,   Memorie storiche di Loco. Quaderni manoscritti, Loco, fine 1800 - inizio Novecento 1900,   Istituto scolastico,   Isorno,   2005.  
  • --. http://www.farinabona.ch/index.php, URL,   Webseite "Farina Bona",   2011.  
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Produktionsepizentrum

Onsernonetal TI
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