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Fuatscha grassa

Foaccia grassa, Fugascha

Fuatscha grassa

In Kürze

Die romanische Bezeichnung Fuatscha grassa bedeutet zu Deutsch Butterfladen und beleuchtet gleich die zwei wichtigsten Charakteristika des Gebäcks: Mit der geringen Höhe und einem Durchmesser von rund zehn bis zwanzig Zentimeter zum einen seine fladenähnliche Form und zum anderen den hohen Butteranteil und damit seine mürbe Konsistenz. Die Oberfläche der Engadiner Spezialität ist zudem mit einem feinen Zuckermantel versehen.

Wie der romanische Namen verrät, handelt es sich bei der Fuatscha Grassa um eine Engadiner Spezialität, die in dieser Region in fast jeder Bäckerei angeboten wird.

Fuatscha grassa gehört mit den Grassins und dem Teig der Bündner Nusstorte in die Familie der Bündner Mürbeteigspezialitäten. Grassins sind Guetzli und wesentlich kleiner. Sie verfügen in der Regel über einen nicht ganz so hohen, aber dennoch beträchtlichen Butteranteil, zudem ist ihre Oberfläche nicht mit Zucker bestreut. Der Teig der Bündner Nusstorte ist teilweise identisch mit der Fuatscha Grassa, teilweise wird er aber mit weniger Butter und ohne Eier hergestellt.

Von der Form und der Konsistenz her hat die Fuatscha Grassa auch eine ausserkantonale Verwandte: nämlich die Glarner Drusenzelte. Deren Teig beinhaltet jedoch Rosinen und wird mit Bratbutter hergestellt.

Es wird angenommen, dass der Begriff fuatscha vom italienischen focaccia stammt, was zu Deutsch Fladenbrot heisst.

Beschreibung

Rundes Mürbegebäck, das mit Kristallzucker bestreut wird und einen Durchmesser von ca. 20 Zentimetern hat

Zutaten

Butter, Zucker, Eier, Mehl, Salz, teilweise abgeriebene Zitronenschale

Geschichte

Das älteste gefundene Rezept einer Fuatscha Grassa ist aus dem Jahr 1905. Man findet es in dem im Bündnerland damals sehr verbreiteten Buch "Koch-Rezepte bündnerischer Frauen" und zeigt drei Varianten des fladenförmigen Gebäcks. Auffallend dabei: Das Verhältnis von Butter zu Mehl ist in den drei Rezepten nahezu 1:1. Eines der Rezepte trägt die Unterzeile "Unterengadin". Zeigt diese regionale Verortung auch den Ursprung des Gebäcks an? Ein Gedichtvers, der in einem Kochbuch aus den 1980er Jahren zitiert, jedoch weder zeitlich noch inhaltlich genauer situiert ist, würde diese Vermutung jedenfalls untermauern: "L'Engiadina bassa, Patria da l'uors, e d'la fuatscha grassa" (das Unterengadin ist die Heimat des Bären und der Fuatscha Grassa).

Die Fuatscha Grassa spielt im Hinblick auf die bekannteste der Bündner Spezialitäten, der Bündner Nusstorte, eine vermutlich tragende Rolle. Manch einer fragt sich nämlich, wie es denn zu der Bündner Spezialität aus Baumnüssen kam, wo doch aufgrund des rauen Klimas gar keine Nussbäume im Bündnerland wachsen. Eine Theorie führt über die Fuatscha Grassa zu den ausgewanderten Bündner Zuckerbäckern. Sie sollen im 20. Jahrhundert in der Ferne die in der Heimat bereits bekannte Fuatscha Grassas mit den exotischen Baumnüssen angereichert und so ein neues Produkt kreiert haben. Sie kehrten dann in ihre Heimat zurück, mit neuen Spezialitäten im Rucksack.

Offenbar gab es in Graubünden neben der Fuatscha grassa auch andere Fuatschas respektive Fugaschas. Der in den 1970er Jahren erschienene Band des Dicziunari rumantsch erwähnt unter anderem auch solche aus Roggenmehl. Die Fuatscha grassa wird als beliebter "Butterkuchen" vorgestellt. Das Gebäck kam jeweils zu Festtagen wie Neujahr und Ostern auf den Tisch. Auch von dem mittlerweile berühmten Engadiner Brauch Chalandamarz ist die Rede. Dieser ist ein Frühlingsfest, das jeweils am 1. März stattfindet und an dem die Buben – und je nach Gegend später auch die Mädchen – mit grossen Glocken durch die Strassen und Gassen des Dorfs gehen. Dieser Brauch wurde auch im bekannten Bündner Kinderbuch, dem Schellen-Ursli, festgehalten. Aber auch zu Totenwachen wurde gemäss dem Dicziunari traditionsgemäss eine Fuatscha Grassa gegessen. Und den Pflügern brachte man die nahrhaften und reichhaltige Fuatscha Grassa aufs Feld mit. So steht es in dem in den 1930er Jahren erschienenen Band des Dicziunari, im späteren Band der 1970er Jahre wird dieser Brauch allerdings nicht mehr erwähnt.

Manch einer wird sich wohl fragen, was dieses Gebäck denn so festtäglich macht. Vermutlich waren es die Zutaten: Weissmehl, Butter, Eier und Zucker. Sie wirken heute zugegebenermassen alles andere als spektakulär, aber bis Mitte 20. Jahrhundert hatte jede dieser Zutat noch eine spezielle Bedeutung. Zum Beispiel Weissmehl. Selbst in den 1940er Jahren war es, wie im Dicziunari rumantsch steht, "besseres Mehl". Das raue Klima in den hochgelegenen Bündner Tälern und Berggebieten eignet sich nicht für den Anbau von Weizen. Weizen war also nur selten vorhanden und musste teuer aus Italien importiert werden. Dies konnte sich lange nicht jeder leisten und wenn, dann nur zu besonderen Anlässen. Die Bedeutung des Butters und der Eier kann im Zusammenhang mit dem Fasten, währenddem der Konsum tierischer Produkte nicht erlaubt war, verstanden werden. Das Verbot wurde für die Schweiz zwar schon Ende 15. Jahrhundert mit dem päpstlichen "Butterbrief" gelockert, doch vermutlich hat sich die Tradition, an Ostern Eierspeisen zu essen, daraus entwickelt. Auffallend ist zudem, dass der Zucker nicht nur in, sondern für alle gut sichtbar auch auf der Fuatscha Grassa zum Einsatz kommt. Zucker war bis ins 19. Jahrhundert ein sehr teures Produkt, das nur sparsam verwendet wurde.

Produktion

"Das wichtigste sind gute Zutaten, vor allem sollte bei der Butter nicht gespart werden. Man darf beispielsweise nie Margarine verwenden", antwortet die Produzentin auf die Frage, wie man eine gute Fuatscha Grassa macht.

Mehl, Zucker, Butter und Eier werden zusammen mit einer Prise Salz in der Rührmaschine zu einem Teig verarbeitet. Mit der Ausrollmaschine wird der Teig auf eine gute Dicke ausgerollt – "nicht zu dünn", fügt die Bäckerin an.

Nun kommt die Schablone mit den grossen Kreisen auf den Teig: "Wegen dem hohen Butteranteil sollte die Fuatscha Grassa vor dem Backen ein wenig gekühlt werden. Ansonsten könnten sie auslaufen", so die Bäckerin. Damit sie nicht auslaufen, werden sie auch bei relativ schwacher Hitze, nämlich bei 180 Grad gebacken.

Damit der Zuckermantel auf der Oberfläche der Fuatscha Grassa gut "klebt", empfiehlt die Produzentin die noch heissen Gebäckstücke zu bestreuen.

Konsum

Die Fuatscha Grassa wird auch heute vermehrt an Feiertagen gegessen, aber nicht ausschliesslich. Auch unter dem Jahr wird sie gerne zum Kaffee konsumiert. An einem Tag aber, nämlich an Neujahr, wird die Fuatscha Grassa zur Wahrsagerin. Wie die besuchte Produzentin ausführt, drückt man dazu mit dem Finger in die Mitte des Gebäcks und je nachdem in wie viele Teile sie zerbricht, desto grösser respektive kleiner ist das Glück im neuen Jahr. Viele kleine Stücke bedeuten wenig Glück, wenige, dafür umso grössere Stücke stehen für grosses Glück.

Wenige Tage nach Neujahr steht die Fuatscha Grassa wieder auf den Tischen, wenn in den Unterengadiner Gemeinden Tschlin und Ramosch die Mattinadas gefeiert wird. Die Kinder ziehen von Haus zu Haus und sammeln Mattinadas – allerlei Hausgebäck, die dann um Mitternacht zusammen mit Grassins und Schlagrahm verspeist werden.

Wirtschaftliche Bedeutung

Die Fuatscha Grassa ist zwar kein Leaderprodukt, wie die Produzentin sagt, doch sie verkauft sich gut. Vor allem Einheimische kaufen sie. Eine Fuatscha Grassa kostet rund CHF 4.-.

... anderes

Die Beliebtheit der süssen Engadiner Gebäcke lässt sich auch an diesem Kindervers, der vor allem auf der Schauckel aufgesagt wurde, ablesen: Bom ban, sain mezdan, fuatschas grassas nan da Ftan, saramonas vi d'Ardez, bratschadellas sü Zernez, biscutins giò da Lavin, Bom ban, ruot las coppas dal taschin. Bom ban, mittlere Glocke, Fuatschas grassas von Ftan, Komplimente in Ardez, Ringbrote in Zernez oben, Eierbrötchen von Lavin herab, Bom Ban, zerbrochen sind die Schüsseln des Taschin.

Literatur

  • Dicziunari rumantsch grischun,   Società Retorumantscha,   Chur,   1939-2004.  
  • Jöhri, Roland,   Die Kochkunst Graubündens. Traditionelle Rezepte – neu kreiert,   Aarau, Stuttgart,   1989.  
  • Weiss, Richard,   Volkskunde der Schweiz. Ein Grundriss,   Erlenbach,   1978.  
  • Koch-Rezepte bündnerischer Frauen,   Schweiz. Gemeinnütziger Frauenverein in Chur,   Chur,   1905.  
  • Terra Grischuna. Zeitschrift für bündnerische Kultur, Wirtschaft und Verkehr. Oktober 1975,   Chur,   1975.  
  • Piz. Magazin für das Engadin und die Bündner Südtäler. Nr. 31, Sommer 2006,   2006.  
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