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Schlaatemer Rickli

Schleitheimer Rickli, Schlaathemer Rickli

Schlaatemer Rickli

In Kürze

Das „Schlaatemer Rickli“ ist ein in Fett gebackenes Gebäck. Die mundartliche Bezeichnung des Gebäcks führt gleich zu zwei Fragen: Was ist „Schlaate“ und was ist ein Rickli?

Bei „Schlaate“ handelt es sich um die Gemeinde Schleitheim im Kanton Schaffhausen. Und nur dort ist dieses Gebäck auch zu finden. „In den Nachbardörfern werden ähnliche Gebäcke hergestellt, Name, Rezept und Form sind jedoch etwas anders“, meint eine Rickliproduzentin. Und das Rickli? Die Antwort ist im Idiotikon, dem schweizerdeutschen Wörterbuch, zu finden: Rickli ist die Verkleinerungsform des Wortes Rick. Dieses hat verschiedene Bedeutungen, für unser Produkt ist die Folgende von Interesse: Ein Rickli ist eine Schlinge, Schleife oder Masche. Im Schaffhauser Mundartwörterbuch ist das Wort auch ein Synonym für die Öse. Und wahrlich, die Form des Schlaatemer Ricklis kann als Schleife beschrieben werden. Das ideale Rickli ist keine 24 Stunden alt und der Teig ist mürbe. Es darf nicht nach Fett oder Öl schmecken. 

Das Schlaatemer Rickli gehört zu den Chüechli, die schwimmend in Fett bzw. Öl gebacken werden. Zwischen den verschiedenen Chüechli bestehen Ähnlichkeiten in Bezug auf den Teig und der Form. Der Teig besteht aus Mehl, Eiern, Butter oder Rahm, selten mit einem Zusatz von Wein, Schnaps oder anderen Essenzen. Dieser wird möglichst dünn ausgewallt und zuweilen von Hand zu runden, tellerartigen Stücken, Rechtecken oder länglichen Teigstreifen verarbeitet werden. Dann backt man sie knusprig braun und bestreut sie meist mit Zucker.

Beschreibung

Das Schlaatemer Rickli ist ein in Fett gebackenes, schleifenförmiges Gebäck von einer Breite von ca. 6 cm und einer Länge von ca. 17 cm.

Zutaten

Mehl, Eier, Butter, Zucker, Zitrone (Saft und Schale), Kirsch, Backpulver, Salz

Geschichte

Eine der älteren schriftlichen Erwähnungen des Ricklis ist im Idiotikon aus dem Jahre 1909 aufgeführt: Es handelt sich um "eine Art Kuchen aus schmalen, maschenförmig durch- und übereinander gelegten, in Butter gebackenen Teigstreifen".

Im Atlas der Schweizer Volkskunde ist zu lesen, dass man das Rickli kurz vor dem Zweiten Weltkrieg Rickli in Schaffhausen und Schleitheim kannte. Während in anderen Orten Fettgebackenes gerne zur Fasnacht hergestellt wird, gab es in Schleitheim schon damals das Rickli das ganze Jahr hindurch als typisches Hochzeitsgebäck.

Im Kochbuch „Schweizer Küchenspezialitäten“ von 1927 nennt die Autorin das Gebäck „Schleitheimer Rickli“. Erstaunlich sind dort die Mengenangaben für den Teig: 30 Eier, anderthalb Kilo Zucker, 2 Messerspitzen Natron, ein Deziliter Kirsch und ein Kilo Butter werden mit vier bis viereinhalb Kilo Mehl verarbeitet. Für den Haushalt reiche ein Zehntel der aufgeführten Mengen, so die Autorin. Sie bietet noch mehr Informationen: "Die Rickli dürfen bei keiner Hochzeit oder festlichen Gelegenheit fehlen, und es ist keine Seltenheit, dass die Leute für eine Hochzeit das Doppelte oder Dreifache des angegebenen Quantums backen, besonders, wenn am zweiten Tag noch ein Hochzeitskaffee gegeben wird, wobei oft 80 bis 100 Frauen eingeladen werden.“ Dazu meint die besuchte Produzentin: „Es waren nicht nur Frauen beim Hochzeitskaffee dabei, sondern natürlich auch Männer.“ Schon nach dem 2. Weltkrieg wurde das Rickli nicht mehr nur zu Hochzeiten hergestellt: „Als ich Kind war, gab es die Rickli vor allem zu den Familienfesten wie Taufe und Hochzeit, Dorffeste waren da noch nicht gebräuchlich“, betont die über 70jährige Rickliproduzentin. Zu ihrer Hochzeit „schlickten“ die Frauen schon einige Tage zuvor.

In den 1990er Jahren dann bürgerte sich ein neuer Brauch in Schleitheim ein: Jugendliche, die zur Konfirmation ein Geschenk erhalten haben, bedanken sich bei den Schenkenden mit einem Säcklein, das mit zwei oder drei Schlaatemer Rickli gefüllt wird. Da nur noch wenige Mütter, das Wissen, die Zeit oder die Geduld haben, kommt so eine Ricklifrau zu einem Back-Auftrag. Im Dorf gibt es immer wieder eine Frau, die eine besondere Begabung fürs Ricklimachen entwickelt und dieses Können anderen zur Verfügung stellt, sie wird dann als Ricklifrau bezeichnet. Heute gehört auch das Ortsmuseum zu den festen Kunden, an Vernissagen werden Rickli aufgetischt.  

Seit einigen Jahren stellt die besuchte Ricklifrau für eine Verwandte alle zwei Wochen rund 70 Rickli her, die letztere in Schaffhausen am Bauernmarkt am Freitag verkauft.

Produktion

Die besuchte Produzentin kennt das Rickli aus dem Elternhaus und hat bei einer der früheren Ricklifrauen des Dorfes aufmerksam zugeschaut.

Der Teig für die Rickli wird ein bis zwei Tage vor dem eigentlichen Backtag hergestellt. Die Produzentin schlägt Zucker und Ei schaumig und gibt Salz dazu. Anschliessend siebt sie die Hälfte des Mehles hinein und vermischt alles gut. Die Butter nimmt die Ricklifrau schon am Tag zuvor aus dem Kühlschrank, zum Verarbeiten muss sie sehr weich, aber nicht flüssig sein. „Zu harte Butter verursacht Knöllchen im Teig“, erklärt sie. Danach gibt sie Zitronensaft, -schale, Kirsch und das restliche Mehl hinzu. Sie formt den Teig zu einer Kugel, packt ihn in eine Klarsichtfolie damit er nicht austrocknet, und stellt ihn für ein oder zwei Tage in den Kühlschrank.

Am Backtag wallt sie den Teig etwa sieben Millimeter dünn aus. Die Ricklifrau nimmt das „Ricklibrettli“, ein Holzbrett mit Handgriff von etwa sieben auf dreissig Zentimetern Fläche, mit dessen Hilfe sie mit dem Teigrädchen gerade Stücke von sieben mal fünf Zentimetern schneidet. Die Rechtecke werden der Höhe nach viermal eingeschnitten. Nun nimmt die Ricklifrau das Teigstück in die Hand und zieht den ersten Strang rechts unter dem zweiten Strang durch und nimmt vorsichtig mit Zeigfinger und Daumen den ersten Strang über den zweiten Strang und zieht leicht, die Form entspricht einer Schlinge oder Masche. Der gleiche Vorgang wird auf der linken Seite des Teigstückes ausgeführt. Ein Teigling in der Form einer flachbauchigen Acht mit dominantem Mittelstück („Bänkli“) ist entstanden.

Die ungebackenen Rickli kommen auf ein mit Stofftüchern bedecktes Blech, sobald dieses voll ist, stellt es die Ricklifrau im Sommer in den Kühlschrank. Für das Formen der Schlaufe verwendet die Ricklifrau das Wort „schlicke“, auf Deutsch übersetzt, heisst das „eine Schlaufe formen“, so ist dem Schaffhauser Wörterbuch zu entnehmen. Das „Schlicken“ muss schnell vor sich gehen, warme Hände und hohe Raumtemperatur machen den Teig weich und die Arbeit schwierig. „Die richtige Form hinzukriegen, ist eine Frage der Übung und des Talents“, berichtet die Ricklifrau.

Anschliessend erhitzt sie in einer Gusseisenpfanne Schweinefett. Andere nehmen Kokosfett oder Frittieröl. Anderthalb Kilo Fett reichen für 80 Rickli.  Mit der Hand über der Pfanne prüft die Ricklifrau die Temperatur des Fettes. Zu einem bestimmten Zeitpunkt gibt sie eine geschälte Zwiebel in das flüssige Fett, kurz darauf einen kleinen Teigballen. Die Zwiebel wird bräunlich, der Teigballen gewinnt an Farbe und steigt an die Oberfläche des Fettes. Andere Frauen geben eine geschälte Kartoffel ins Fett bzw. Öl. „Warum wir die Zwiebel oder die Kartoffel zu Beginn ins Fett geben, kann ich nicht sagen, ich kenne keine Erklärung“, erläutert sie. Stimmt die Farbe des Teigballens, entfernt sie ihn wie auch die Zwiebel aus der Pfanne. Nun gibt sie kurz hintereinander drei Teiglinge ins Fett, dann folgt eine zweite Portion à drei Stück, anschliessend wendet sie die erste Portion mit den Holzspateln. „Jedes Rickli muss mindestens zweimal beim Backen gekehrt werden“, berichtet die Ricklifrau. Sie gibt das Rickli mit der Rückseite ins Fett, so kann sie die Form leichter korrigieren. Die gebackenen Rickli legt sie auf mit Küchenpapier belegte Gitter aus. Zum Schluss wird das abgekühlte Rickli mit Puderzucker bestaubt.  Meistens tun sich zwei Personen zum Ricklimachen zusammen, die eine „schlickt“ und die zweite gibt die Rickli ins Fett.  

Bei Dorffesten sind die Ricklifrauen gefordert, sie bereiten den Teig in der Küche des Altersheimes zu, die grosse Rührmaschine erleichtert ihnen die Arbeit. Ein oder zwei Tage später treffen sich die Frauen morgens um fünf in der Schulküche und stellen an den drei Kochherden bis zum Mittagessen rund 3000 Rickli her.

Konsum

Im Jahre 1974 empfahlen die Autoren der „Schweizer Tafelfreuden“ die Schlaatemer Rickli als herrliches Dessert oder als "Sunntigs-Zvieri". Passen würde dazu ein kräftiger, aromatischer Milchkaffee.  „Da das Gebäck eine ganz dezente Süsse aufweist, passt es auch gut zu einem Glas Wein“, so die Ricklifrau.  In „Festliches Gebäck. Rezept und Tradition aus allen Kantonen“ wird vorgeschlagen, Rickli mit Erdbeer- oder Himbeersauce zu servieren.  

Die frischen Rickli halten sich in einer gut schliessenden Blechdose oder in einem verschlossenen Plastikbeutel bis zu zehn Tagen.

Wirtschaftliche Bedeutung

Die besuchte Ricklifrau verlangt für ein Rickli zwischen 1.20 und 1.30 Franken. Schaut man sich in den Bäckereien in Schaffhausen um, so sieht man Preise von 2.30 und 2.90 Franken (Verzehr im Café). Die Ricklifrau hat mit dem Ricklibacken einen kleinen Nebenerwerb, ihr geht es aber dabei viel mehr um die Pflege der dörflichen Esstradition. In der Bäckerei ist das Rickli ein Produkt unter vielen.

... anderes

Die besuchte Ricklifrau bot vor einigen Jahren Backkurse an und stellte damals fest, dass nicht jede Frau das Geschick hat um dieses Gebäck herzustellen. Es braucht eine gewisse Fingerfertigkeit und schnelles Arbeiten. Einige jüngere Frauen backen für sich privat Rickli, doch die Ricklifrauen, die auf Bestellung oder für das Dorffest Rickli backen, sind über 50 Jahre alt. Die besuchte Ricklifrau hofft, dass sich bei mehr jüngeren Frauen die Freude am Ricklibacken bald einstellt, denn sonst fehlt der Nachwuchs.

Literatur

  • Atlas der schweizerischen Volkskunde,   Weiss, Richard und Paul Geiger,   Basel,   1950.  
  • Guggenbühl, Helen,   Schweizer Küchenspezialitäten. Ausgewählte Rezepte aus allen Kantonen,   Schweizer-Spiegel-Verlag,   Zürich,   1929.  
  • Albonico, Heidi<BR />Albonico, Gerold,   Schweizer Tafelfreuden. Band 2,   Silva Verlag,   Zürich,   1974.  
  • Weibel-Gemsch, Inge,   Das Kochbuch aus der Ostschweiz,   Wolfgang Hölker,   Münster/Zürich,   1978.  
  • Schnieper, Claudia<BR />Jaray, Peter,   Festliches Schweizer Gebäck. Rezepte und Traditionen aus allen Kantonen,   Mondo-Verlag,   Vevey,   2006.  
  • Schaffhauser Magazin 4/1993,   Steiner, René,   Schaffhausen,   1993.  
  • Bendel, Hedwig<BR />Corte, Renzo<BR />et alteri,   Schaffhausen geniessen. Mehr als ein Kochbuch,   Meier Verlag,   Schaffhausen,   1997.  
  • Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache,   Staub, Friedrich et al..  
  • Bührer, Peter,   Schweizer Spezialitäten. Alte Original-Kochrezepte,   Editions M,   Zürich,   1991.  
  • Graf, Rosa,   Goldene Kochfibel,   Otto Walter AG,   Olten,   1947.  
  • Kulinarische Leckerbissen aus 26 Kantonen,   Rheintalische Volkszeitung,   Altstätten,   1991.  
  • Kaltenbach, Marianne,   Aus Schweizer Küchen. Überlieferte Rezepte aus den 26 Kantonen der Schweiz,   Hallwag AG,   Bern,   1996.  
  • Richli, Alfred,   Schaffhauser Mundartwörterbuch,   Meier Buchverlag,   Schaffhausen,   2003.  
Konditorei- und Backwaren Drücken

Produktionsepizentrum

Schleitheim, Schaffhausen (SH)
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