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Zürcher Murre / Pain bernois

Zürcher Murren (Zürimurre), Berner Weggli, Bernerweggen, Spitzweggen, geschnittene Weggli, Zackenweggen.

Zürcher Murre / Pain bernois

In Kürze

Murren sind ein Kleingebäck aus der Familie der Milchbrötchen und damit  nahe Verwandte des Wegglis. Im Gegensatz zum runden, gespaltenen Weggli (50-60 g) sind Murren meistens etwas grösser, sowie länglich oval geformt. Und statt einer tiefen, mittigen Furche, ziert sie eine gezackte Oberfläche. Der Teig hingegen ist bei beiden Kleinbroten identisch: Es ist der so genannte „Weggliteig“ aus Weissmehl, Milch oder Milchpulver, Hefe, Butter, Salz und etwas Zucker.

Woher der Name des Kleinbrotes stammt ist nicht endgültig geklärt. Eine Fährte führt laut dem vierten Band des Idiotikons (1901) auf den mittelhochdeutschen Begriff „murr“ zurück, was „stumpf“ bedeutete und wohl ein Hinweis auf die Form des Kleinbrotes war. In die gleiche Richtung zielt die Verbindung zum spanisch-portugiesischen Wort „morro“, das einen runden Körper beschreibt. Eine weitere mögliche Verwandtschaft ergibt sich aus dem niederländischen „murw“, einem Begriff für mürbes Brot.  

Der Begriff Murren ist nicht die einzige Bezeichnung für das Kleinbrot mit den Einschnitten. Es ist allgemein auch als „geschnittenes Weggli“ oder „Spitzweggli“ bekannt. In gewissen Regionen nannte man es auch „Examenweggen“, weil das Kleinbrot zum Abschluss des Schuljahres an die Schüler verteilt wurde. Dieser Brauch ging im Verlauf der letzten Jahre aber verloren. Die Zürcher kennen es als „Zürimurre“, während es im Bernbiet „Berner Weggli“ genannt wird.

Auch die Romands verbinden Bern mit dem Gebäck, sie nennen es „pain bernois“. Das ist erstaunlich, weil Murren erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts in der westlichen Deutschschweiz und dann auch in der Westschweiz bekannt wurden, während sie in der Ostschweiz und im Grossraum Zürich lange davor verbreitet waren. Im Tessin kennt man das Milchbrötchen bis heute kaum.

Beschreibung

Länglich oval geformtes Milchbrötchen mit gezackter Oberfläche. Der Teig ist derselbe wie beim Weggli, allerdings ist der Murren mit 90 bis 100 Gramm etwas grösser als das 50 bis 60 Gramm schwere Weggli. Es existieren auch noch grössere Murren.

Zutaten

Weissmehl, Milch, Butter, Hefe, eine Prise Salz und Zucker, Malz und Levit.

Geschichte

Im bereits erwähnten vierten Band des Idiotikons wird eine Quelle aus dem Zürcher Staatsarchiv aus dem Jahre 1508 zitiert, das Murren erwähnt. Spätestens zu Beginn des 16. Jahrhunderts dürfte das Kleinbrot folglich bekannt gewesen sein. Leider fehlt eine Beschreibung des Gebäcks. Wir wissen also nicht, ob die Einschnitte schon damals als typisch für Murren galten, oder aus welchem Teig sie bestanden. Die ersten wirklich detaillierten Beschreibungen liefert wiederum der Idiotikoneintrag, der sich auf das ausgehende 19. Jahrhundert bezieht. Sie decken sich ziemlich genau mit dem heute verbreiteten Gebäck: „(Es ist ein) ovales oder rundes Milch-, Butter- oder Eierbrötchen, bei länglicher Form gewöhnlich mit einem Einschnitt und oft an den beiden Enden spitz zulaufend.“ Bis auf die spitz zulaufenden Enden, die heute eher abgerundet sind, stimmt die Beschreibung auch heute, über ein Jahrhundert später, noch.

Murren entstammen wie eigentlich alle Kleinbrote dem städtischen Bäckereigewerbe. Sie waren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eher ein Festgebäck. In Glarus und Schaffhausen zum Beispiel „ass (man) sie als Festgebäck zu Ostern (oder) zu Weihnachten“, ist im Idiotikon nachzulesen. Gerade für ärmere Schichten waren Murren kaum erschwinglich, weil das Weissmehl ziemlich teuer war.  

Auffallend am Idiotikoneintrag ist die präsentierte geografische Verbreitung des Murrens. Sie erstreckt sich von der Ostschweiz über Zürich bis nach Aarau, aber nicht darüber hinaus. Auch im Atlas der schweizerischen Volkskunde, der im Jahre 1950 erschienen ist, sich aber auf eine nationale, volkskundliche Umfrage aus den 1930er-Jahren bezieht, werden „Murre“ in der Ostschweiz verortet. Offensichtlich waren sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Bern noch nicht bekannt, obschon man sie heute in der Bundeshauptstadt sowie in der Romandie als „Berner Weggli“ kennt. Die erste schriftliche Erwähnung eines „Berner Weggli“ als Synonym für Murren stammt denn auch erst von 1954 aus dem „Richemont Fachblatt“, der Berufszeitung des Schweizerischen Bäcker- und Konditorenmeister-Verbandes.

Weit klarer und älter ist dagegen die Verbreitung der Murren in Zürich. Schon das eingangs erwähnte Idiotikonzitat stammt ja aus einer Quelle des Zürcher Staatsarchivs. Und auch im Zürcher Zunftwesen spielten Murren eine Rolle, wie wir aus dem zweiten Band über „Das Zürcher Zunftwesen“ von Markus Brühlmeier und Beat Frei erfahren: „Besonders viele verschiedene Sorten Gebäck gab es auf der Zunft zum Weggen. Die Rechnungen führen „Ringe“, „Murren“, „Läckerli“ und „Dirgel“ auf.“ Die Zunft zum Weggen ist bis heute die Handwerkszunft der Bäcker und Müller, und die erwähnten Rechnungen stammen aus dem 17. Jahrhundert. Auch J.J. Schenkel nennt in seinem Aufsatz „Das Schweizervolk in seinem Essen und Trinken“ aus dem Jahre 1900 explizit den „Züri-Murren“. Zu guter Letzt wird auch im Atlas der schweizerischen Volkskunde Zürich in Bezug zu Murren gesetzt: „(…) in Baden erwartete man früher von einem, der von Zürich kam, als Kram eine Zürimurre“, heisst es da.

Produktion

Die Grundzutaten eines Weggli- wie auch des Murrenteigs sind laut der Bäckerfachschule Richemont Weissmehl, Milch, Butter, Hefe, Malz, eine Prise Zucker und Salz sowie Levit, ein Brotbackmittel auf der Basis eines getrockneten Hefevorteigs, das für mehr Geschmack und ein längeres Frischbleiben sorgt. Das Rezept gilt als Standardvorlage, die von den einzelnen Bäckereien aber leicht variiert wird. Der besuchte Zürcher Produzent zum Beispiel verwendet für seinen Weggliteig nicht Milch, sondern Milchpulver und Wasser: „Milchpulver ist länger haltbar als Milch. Wir können so viel besser auf die Nachfrage und Bestellungen eingehen, während es bei Milch immer eine Lotterie ist, ob zu viel oder zu wenig da ist.“

Wichtig bei der Teigzubereitung ist, die Butter erst beizugeben, wenn das Mehl schon gut eingezogen ist, weil „sich die Butter, wenn sie lange geknetet wird, erhitzt, verflüssigt und dann viel weniger fein in den Teig einzieht.“ Am Ende des Knetvorgangs sollte der Teig möglichst elastisch sein. Dafür ist Gluten verantwortlich, der Kleber: eine Gruppe von Getreideproteinen mit der Fähigkeit, Wasser oder Milch zu binden. Erst dadurch entsteht eine zähe, dehnbare Teigmasse. 

Diesen Teig lässt man nun als Ganzes während rund 30 Minuten in der so genannten Stockgare ruhen. Dabei erholt er sich von den Belastungen des Knetprozesses und entwickelt durch die Hefetätigkeit wichtige Aromen. Zum anschliessenden Portionieren gibt der Bäcker Teigstücke in die so genannte Aufschleifmaschine, die den Teig dann in gleich grosse Portionen teilt. Nach dem Aufschleifen landen die Teigstücke deshalb in der nächsten Maschine, dem Langwirker, der sie genau in die richtige Form bringt.

Auf das Formen folgt eine neuerliche Ruhephase, die Stückgare. Dazu legt man die Teigstücke in den Gärschrank, wo sich die Teiglinge unter idealen Bedingungen bei warmen 30 Grad und etwa 70 Prozent Luftfeuchtigkeit erholen und weitere Geschmacksaromen ausbilden. Eine halbe Stunde später kommt es zum entscheidenden Schritt beziehungsweise Schnitt: Der besuchte Produzent verwendet dafür eine spezielle Anfertigung, die auf den ersten Blick einem grossen Kamm gleicht. Dieser metallene „Kamm“ besteht aus zwei parallelen Schienen, die mit je fünf kurzen Klingen versehen sind. Über einen Handgriff kann eine der Schienen verschoben werden, und mit ihr die fünf Klingen. Der Bäcker sticht diesen „Kamm“ also mit den verschobenen Klingen leicht in die Oberfläche des Murren-Teiglings, löst den Handgriff und hinterlässt so fünf gleichmässige, gerade Schnitte, die nach dem Backen als fünf Zacken und ebenso viele kleinere Furchen gut sichtbar sind. 

Dieses fünfzackige Schnittmuster ist nur eines von vielen, mit denen Murren verziert werden. Häufig anzutreffen ist beispielsweise das Zickzackmuster.

Vor dem abschliessenden Backen werden die eingeschnittenen Teigstücke noch mit Ei bestrichen und kurz ruhen gelassen. Schliesslich kommen sie für rund 20 Minuten bei 210 Grad in den Ofen, bis sie gezackt sind und goldbraun glänzen. 

Konsum

Frisch schmecken Murren am besten, „also zum Frühstück“, wie der besuchte Bäcker meint, sei es pur oder mit Butter und Honig oder Konfitüre bestrichen. Der Weggliteig trocknet eben ziemlich schnell aus und verliert dadurch deutlich an Qualität. Beliebt ist auch die Kombination mit einem „Schoggistengeli“.

Etwas vorsichtig sollte man beim Essen wegen der charakteristischen Zacken sein. Diese sind vom Backen oftmals sehr hart, und können ganz schön schmerzen, wenn sie plötzlich im Gaumen feststecken.

Wirtschaftliche Bedeutung

Murren stehen ganz klar im Schatten der Weggli. Die sind die unbestrittene Nummer eins unter den Milchbrötchen und zusammen mit den Gipfeli wohl überhaupt die populärsten Schweizer Kleinbrote. In der besuchten Bäckerei zeigt sich das deutlich an den Produktionszahlen: Tägliche werden rund 100 Murren hergestellt, beim Weggli sind es 2500!

„Für uns sind Murren eine schöne Alternative zum Weggli, zumal ja auch mehr dran ist“, beschreibt der Produzent deren wirtschaftliche Bedeutung.

... anderes

Murren tauchten noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts in verschiedenen Sprichwörtern auf, wobei der Bezug zum Verbum „murren“, das ja einen ganz anderen Hintergrund hat, offensichtlich war. Die folgenden Beispiele sind alle bei J.J. Schenkel zu finden: „Er muss siner Frau käni Murre chaufe = sie murrt ohnehin schon genug. Er het Murre heimbrocht = ist verdriesslich nach Hause gekommen. Ich muss hei, sust chummi Murre über vu de Frau, sagt ein furchtsamer Ehemann zu seinen Wirtschaftskameraden.

Literatur

  • Atlas der schweizerischen Volkskunde,   Weiss, Richard und Paul Geiger,   Basel,   1950.  
  • Richemont Fachblatt,   Fachschule Richemont Luzern,   ab 1945.  
  • Schenkel, J.J.,   Das Schweizervolk in seinem Essen und Trinken; Sonderdruck aus dem 7. Heft der Beiträge zur vaterländischen Geschichte,   Historisch-antiquarischer Verein des Kantons Schaffhausen,   Schaffhausen,   1900.  
  • Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache,   Staub, Friedrich et al..  
  • Schweizer Bäckerei,   Richemont Fachschule,   Luzern,   2006.  
Konditorei- und Backwaren Drücken

Produktionsepizentrum

Deutschschweiz, weit seltener in der Romandie.

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