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Leckerlin

Aargauer Schlossgebäck

In Kürze

Leckerli sind ein Kleingebäck, das im Normalfall in zwei Bissen verspeist ist. Über die Jahrhunderte sind diese handlichen Leckereien nie verschwunden, sie sind in der ganzen Schweiz verbreitet, vielfältig in Geschmack, Struktur und Konsistenz. Sie sind ausserdem einfach zuzubereiten und verlangen keine besondere Infrastruktur in der Küche. Basis eines Leckerlis sind Mehl, Honig und Zucker. Weitere Komponenten nach Wahl sind Nüsse und etwas Säure wie Orangeat und Zitronat oder auch etwas Schnaps wie Kirsch. Eine alte Spezialität ist der «Apothekerschleck», Leckerli mit Gewürzen wie Zimt, Muskat oder Ingwer – ein Leckerli als Komplementärmedizin.

Eines der ältesten bekannten Rezepte stammt aus dem Aargau, der früher zu Bern gehörte. Das Rezept für «Frauw Anna von Hallweil Läckerlein zu machen» steht in der Sammlung von Arzneirezepten der Familie von Hallwyl aus dem 16. Jahrhundert. Nachdem es im Stillen geschlummert und in ähnlichen Rezepten die Jahrhunderte überdauert hat, wird es heute in entschlackter, zeitgemässer Zusammensetzung hergestellt: Nicht zu süss, nicht zu schwer, würzig und gesund.

Beschreibung

Kleingebäck aus Mehl, Honig, Zucker, Gewürzen (im wesentlichen Lebkuchen- bzw. Weihnachtsgewürze); nach Varianten mit Nüssen, Zitronat und Orangeat, einem Schuss Kirsch und Guss aus Zitronensaft und Puderzucker.

Variationen

Zahlreiche in Grösse und Zusammensetzung ähnliche Kleingebäcke von knochentrocken bis marzipanähnlich.

Zutaten

Honig, Zucker, Dinkelmehl, Nusstrester (nillon; Reste gemahlener und gepresster Baumnüsse), Orangeat, Zitronat, Gewürze (gemahlene Gewürznelken, Ingwerpulver, Zimt, Macis), Zitronenzeste, Kirsch, Pottasche, Triebmittel; Puderzucker und Zitronensaft für die Glasur.

Geschichte

Bei seinen umfangreichen Recherchen zur Geschichte des Basler Leckerlis für sein Buch Leckerli aus Basel – Ein oberrheinisches Lebkuchenbuch (1991; siehe entsprechenden Eintrag) summierte Albert Spycher (1932-2020) die Bemühungen um die Ursprünge des Kleingebäcks: «Das früheste Leckerli-Rezept fanden wir im 1621 angelegten Handbuch des Berner Stadtarztes Abraham Schneuwly neben gewürzreichen <braunen> und lieblichen <weissen> Leckerli [...] unter der Bezeichnung <Frauw Anna Von Hallweil Läckerlein zu machen>.»

 

Schneuwlys Handbuch war eine von 15 Abschriften des Arzneybuchs, das Burkhard III. von Hallwyl (1535-1598) um 1580 geschrieben hatte. «Er sammelte gegen 3000 Rezepte und schrieb sie sortiert nach Anwendungsgebiet, für Gebresten von Kopf bis Fuss, auf. Viele von ihnen probierte er selber aus – probatum schrieb er dann unter den Eintrag – und erfand eigene Kräuterrezepte» (Thomas Frei in Allein die Menge macht das Gift, 2011). Der Schlossherr legte in seiner Wasserburg selber Hand an in der Apotheke mit Labor, die er dort eingerichtet hatte. Beide Bücher, Original und Abschrift, befinden sich im Staatsarchiv Bern; im 16./17. Jahrhundert gehörte der Aargau inklusive Schloss Hallwyl zu Bern.

 

«Leckerlein, Leckerle oder Leckerli erscheinen etwa gleichzeitig um 1600 in einer Hochzeitsrechnung aus dem Hause Fugger in Augsburg, als Proviant auf der Badenfahrt des Zürcher Antistes J. J. Breitinger sowie als beliebtes Festgebäck zum neuen Jahr [...]. Leckerlein [waren] ursprünglich kleine, besonders rezent gewürzte oder aber zuckersüsse kleine Lebküchlein, denen man magenstärkende bis abführende oder ‹die Blödigkeit des Hauptes› behebende Wirkung beimass [...]. In Patrizierhäusern zwischen Basel und Chur, Bern und St. Gallen entwickelte sich im 17. Jahrhundert eine Art friedlicher Leckerli-Wettstreit», schreibt Albert Spycher im Ostschweizer Lebkuchenbuch (2000).

 

Bis Ende des 19. Jahrhunderts kamen allerhand Rezepte zusammen. Neben «normalen» Leckerli, allein für den Genuss gedacht, haben auch einige mit gesundheitsfördernden Komponenten die Jahrhunderte überlebt.

 

Um 1900 hat Auguste Zschokke in Aarau das Rezept für ein «Leckerli» mit Honig, Zucker, Citronat, Orangeat, Zimmet, Nelken, Kirschwasser, Mandeln, Citronen und Mehl mit adretter Handschrift in ihrem Rezeptheft notiert.

 

Im Kochbuch Gritli in der Küche von Emma Coradi-Stahl (Zürich 1904/1916) findet sich das «Aarauer Leckerli (Sehr fein)» mit altem Honig, Kandiszucker, Mandeln, Staubzucker, Zedrat, Zimtpulver, Nelkenpulver, Muskatnuss, Zitronenschale, Kirschwasser und Mehl sowie Zucker und Wasser für die Glasur.

 

Für das «Gewürzleckerli» in Schweizerisches Familien-Kochbuch von Marie Imhoof (Bern 1900) braucht es Bienenhonig, Mehl («am besten Schwarzbrotmehl»), Mandeln, Zimt, Nelkenpulver, Muskatnuss Ingwer, Zitronat, Kirschwasser, Wasser.

    

Das Koch-Buch von Frau Engelberger, Kochschule in Zürich (1893), bietet eine Reihe Rezepte wie Weisse und Rote Marzipanleckerli, Schokoladenleckerli (zubereitet wie roter Marzipan, aber statt Sandelholz bittere Schokolade), Nuss- und Haselnussleckerli, Basler Leckerli und Hausleckerli mit den Zutaten «ächter Bienenhonig, Wasser, Zitronat und Orangeat, geriebene Zitronenschale, Nelkenpulver, Zimmt, Muskatnuss, Kirschwasser, Mehl, Zucker.

 

Bei der Vielzahl an Leckerli-Rezepten, wie sie im legendären Werk Neues Berner Kochbuch von L. Rytz geb. Dick (Bern 1881, 13. Auflage) geboten werden, kann nicht jedes einen eigenen Namen haben. So braucht es für das Leckerli «Andere Art» Zucker, Chocolat, Macis, Nägelein, «von 2 Citronen die Rinde fein gehackt, Semmelmehl, von 3 Eiern das Weisse und nur ein Gelbes».

 

Für das «Hausleckerli» im Schulkochbuch Kochen Braten Backen (Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, 1984) vermischt man Mehl, Orangeat, Zitronat, Nelkenpulver, Zimt, Triebsalz, Bienenhonig, Zucker, grob gehackte Haselnüsse sowie Zitronensaft und Puderzucker für die Glasur. Das sind beinahe die identischen Zutaten wie fürs Leckerlin.

In all diesen Rezepten sind Elemente des «Apothekerschlecks» enthalten, der so hiess, weil die orientalischen Gewürze nicht billig und nur beim Apotheker erhältlich waren. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts war auch Zucker kostspielig – immerhin so teuer, dass er im Haushaltsbuch des Basler Bischofs Johannes von Venningen (im Amt 1458-1478) eigens erwähnt wurde. 1467 wurde festgehalten: «Item 2 ß Dulckeiß jungfrau, bracht 1 zuckerhuth [...].» Billiger wurde Zucker in zwei Etappen: Durch die Einfuhr von Rohrzucker aus der Karibik ab dem 16. Jahrhundert und durch die Entwicklung rationeller Verarbeitungsmethoden (auch von europäischen Zuckerrüben) ab 1801, so bei der Kristallisierungstechnik.

«Würzig und süss» lautet, auf den einfachsten Nenner gebracht, eine Zauberformel, die im Mittelalter Körper und Geist beschäftigt und besänftigt hat. Heilsame Gewürzmischungen, zermörsert zu Pasten wie Latwerge oder für Kleingebäck wie Leckerli.

In diesen Gewürzbomben lösen Zutaten Krämpfe wie Anis oder fördern die Verdauung wie Piment und Kardamom. Sie wirken antiviral und aphrodisierend wie Zimt, ihre ätherischen Öle leicht betäubend, und sie können Zahnschmerzen lindern wie Gewürznelken. Sie regen den Appetit an und dämpfen Rheumaschmerzen wie Macis und Muskatnuss. Sie wärmen die Füsse und entspannen das Gekröse nach schwerer Kost wie Ingwer. Sie bieten wie Pfeffer ein ganzes Bouquet an heilsamen Effekten von der Bekämpfung von Giften bis zur Aufmunterung schwermütiger Seelen – Gewürze aus fernen Ländern, die im Mittelalter zu Mischungen kombiniert wurden, die Küchen mit ihren opulenten Düften befeuert und die Herrschaften mit Prestige bekränzt haben.

Solchen «exotischen Gewürzen kam eine hervorragende Bedeutung zu», schreibt der Historiker François de Capitani (1950–2012) in Festliches Essen und Trinken im alten Bern. Man nannte die Mischungen «poudre forte» oder «Pasteten- und Kochpulver» und würzte damit das ganze Essen.

Im 19. Jahrhundert begann sich die moderne Medizin zu entwickeln, die alte Viersäftelehre verlor an Bedeutung und viele Heilmittel wurden zu blossen Genussmitteln degradiert. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann man, die Gewürze gezielt zu verwenden und die Speisen geschmacklich zu entschlacken. Zudem können neben gewerblichen Bäckereien auch Grossverteiler Kleingebäck wie Leckerli ohne grossen Aufwand produzieren. Überlebt haben die opulenten Aromen als Lebkuchen- und Weihnachtsgewürz in Gebäcken von Magenbrot und Lebkuchen bis Brunsli und Zimtsternen.

Das Hallwyler Läckerlein verschwand bzw. verlor im Lauf der Zeit klare Konturen neben zahlreichen ähnlichen Versionen. Das Arzneybuch des Burkhard III. von Hallwyl wurde ja fünfzehnmal kopiert – der Streueffekt des Läckerleins dürfte über die Jahrhunderte weiträumig gewesen sein. Im Original tauchte es wieder auf, als sich die Aarauer Kochautorin Susanne Vögeli mit dem Thema Leckerli beschäftigte – sie hätte sich auch für das Rezept aus dem Schulkochbuch entscheiden können, doch historische Rezepte sind faszinierender. Zusammen mit Museum Aargau, Aargau Tourismus und Stiftung Töpferhaus wurden die Läckerlein vom Staub der Jahrhunderte befreit, das Rezept mit der Beigabe von nillon (Reste ausgepresster Baumnüsse), Pottasche und Triebmittel aufgelockert und dem 21. Jahrhundert angepasst. Als «Aargauer Schlossgebäck» wurde das Leckerlin im Sommer 2020 auf Schloss Hallwyl präsentiert.

Produktion

Für das originale Leckerlin braucht es Honig, Zucker, Ingwer, Zimt, Muskatnuss, Gewürznelken, geschnätzelte Citronen-schalen, Weissmehl sowie Rosenwasser, Eiweiss und (Kandis?-)Zucker für den Guss.

In der Bäckerei der besuchten Institution wird zuerst nillon gesiebt. «Es gab einige Reklamationen von Leuten, die beim Essen der Leckerlin auf Reste von Nussschalen gebissen haben», erklärt die zuständige Person. Die Reste der ausgepressten Baumnüsse sind trocken und bestehen fast nur noch aus Fasern, sie eignen sich als Ballaststoff. Honig mit Zucker vermischen, Zimt, Ingwerpulver, Macis und gemahlene Gewürznelken dazugeben, Orangeat und Zitronat (durch den Fleischwolf gedreht), geriebene Zitronenschale und einen tüchtigen Schuss Kirsch; dann nillon, Pottasche, Triebmittel und am Ende Dinkelmehl. Fünf Minuten im Rührwerk kneten, eine halbe Stunde ruhen lassen.

Teig zu einer handballgrossen Kugel formen, auf zehn Millimeter Dicke auswallen, in Täfelchen von vier mal zwei Zentimetern schneiden, im vorgeheizten Ofen bei 175 Grad Celsius acht Minuten backen. Noch warm mit einer Glasur aus Puderzucker und Zitronensaft bepinseln.

Konsum

Die Leckerlin schmecken ausgeprägt würzig und kräftiger als alle andern Leckerli, eine Art Mariage zwischen Magenbrot und Zimtstern. Tatsächlich hat man das Gefühl, etwas Gesundes zu kauen – ganz im Sinne der mittelalterlichen Medizin, die noch keine synthetischen Stoffe zur Verfügung hatte. Wie üblich, passen auch Leckerlin bestens zu Kaffee und Tee, sie eigenen sich zu Znüni und Zvieri, als Wanderproviant und stets auch zwischendurch.

Wirtschaftliche Bedeutung

Die Leckerlin sind eine Exklusivität, kein Massenprodukt. Sie werden von einem Produzenten hergestellt, dem Töpferhaus in Aarau. Lanciert im Sommer 2020 mit einem zeitgemäss angepassten Rezept, werden sie im Aargau vertrieben. Neben Coop und einzelnen Läden auch in den Shops von Museum Aargau in den Schlössern Wildegg, Hallwyl, Habsburg und Lenzburg. Jahresabsatz (2020-2022) zwischen 3200 und 5200 Schachteln à 200 g Leckerlin.

... anderes

Kochen war früher Schwerarbeit, die Kraft und Kondition erforderte und nicht gezeichnet war von kreativen Schüben an High-Tech-Herdburgen und dekorativer Präzision dank Hilfe von Pinzetten. Als Muntermacher dient im Reformkochbuch oder Wie koche ich ohne Fleisch und Alkohol von Ida Spühler (Zürich 1904) ein Vers auf der Titelseite:

Nur was sauber, nur was frisch,

Richte dir für deinen Tisch!

Koch’ mit Lieb’ und weisem Sinn

Und zur rechten Zeit beginn’!

Bedenke, dass der Weg zum Herzen

Bei Vielen durch den Magen geht;

Drum wohl dem, der die Kunst versteht!

Literatur

  • Spycher, Albert,   Leckerli aus Basel. Ein oberrheinisches Lebkuchenbuch,   Basel,   1991.  
  • Spycher, Albert,   Das Ostschweizer Lebkuchenbuch,   Herisau,   2000.  
  • Coradi-Stahl, Emma,   Gritli in der Küche,   Kommissionsverlag,   Zürich,   1916.  
  • Engelberger-Meyer, Friedericke,   Koch-Buch,   Kochschule, Frau Engelberger,   Zürich,   1908.  
  • De Capitani, François,   Festliches Essen und Trinken im alten Bern,   Benteli Verlag,   Bern,   1982.  
  • Spühler, Ida,   Reformkochbuch oder Wie koche ich ohne Fleisch und Alkohol,   Zürich,   1904.  
  • Rytz geb. Dick, L.,   Neues Berner Kochbuch (13. Auflage),   S. Wüterich-Gaudard,   Bern,   1881.  
  • Von birn und mandelkern – Kochen nach mittelalterlichen Rezepten, Hier und Jetzt,   Museum Aargau ,   Baden,   2019.  
  • Imhoof, Marie,   Schweizerisches Familien-Kochbuch,   Gustav Grunau,   Bern,   1900.  
  • Imhof, Paul,   Renaissance einer süssen Medizin,   Schweizer Familie,   Zürich,   20.05.2021.  
  • Das Haushaltsbuch des Basler Bischofs Johannes von Venningen (1458-1478),   Hirsch, Volker, und Fouquet, Gerhard (Hg.),   Basel,   2009.  
  • Caspers, Sarah; Frei, Thomas,   Allein die Menge macht das Gift – Kräuterrezepte von Burkhard III. von Hallwyl ,   Museum Aargau Schloss Hallwyl,   Seengen,   2011.  
  • Brunner-Gerdes, Gisela, und Naegeli-Streuli, Esther,   Kochen Braten Backen,   Zürich,   1984.  
Konditorei- und Backwaren Drücken

Produktionsepizentrum

Kanton Aargau, Aarau

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