Glarner Kalberwurst (IGP)
Chalberwurst
In Kürze
Die Glarner Kalberwurst ist eine weisse Brühwurst aus Kalbfleisch, Wurstspeck, Milch, Ei, Weissbrot und Gewürzen.
Sie wird ausschliesslich im Kanton Glarus produziert, ist über den Detailhandel in weiten Teilen der Deutschschweiz erhältlich. Die Glarner Kalberwurst ist als geschützte geographische Angabe (GGA) seit dem 1.12.2011 eingetragen - und führt das IGP im Namen (Indication géographique protégée).
Rein optisch sieht die Glarner Kalberwurst der Bratwurst aus St. Gallen zum Verwechseln ähnlich. Doch das Brät der Glarner Kalberwurst ist durch die Zugabe von Brot und Milch feiner und hat dadurch auch einen typischen Geschmack. Zudem hat sie eine stärkere Muskatnote.
Beschreibung
Weisse Brühwurst aus Kalbfleisch, Speck, Milch und Brot. Wird in der Regel in weisser Sauce gekocht, heute aber auch gerne grilliert
Variationen
Einige Metzger verkaufen die Kalberwurst heute fast als „Fertiggericht“ schon in der weissen Sauce. Man muss dann alles zusammen nur noch aufwärmen
Zutaten
Kalbfleisch, Wurstspeck, Milch, Ei, Weissbrot und Gewürze
Geschichte
Es gibt wohl kaum eine Wurst, über die in der Schweiz während der letzten 100 Jahre so leidenschaftlich diskutiert worden ist wie über die Glarner Kalberwurst. Im Kanton Glarus selber war die Rezeptur der mit Brot angereicherten Brühwurst zu Beginn des 20. Jahrhunderts derart umstritten, dass man an der Landsgemeinde im Jahr 1920 den genauen Wurstinhalt per Gesetz definierte.
War man sich im Glarnerland einmal einig, musste der Kampf um den Wurstinhalt noch auf eidgenössischer Ebene ausgetragen werden. Das Problem war, dass das schweizerische Lebensmittelgesetz aus dem Jahre 1905 und die Lebensmittelverordnung aus dem Jahr 1936 die Zugabe von nicht-fleischlichen Bestandteilen zum Wurstbrät untersagte. Doch die Glarner Metzgermeister kämpften für ihre Extrawurst. Seit dem Jahr 1957 durften sie mit einer Sonderbewilligung auf ihrem Kantonsgebiet die Würste so herstellen, wie sie wollten - nach dem original Glarner Rezept.
Doch nicht nur der Bund, auch der Kalbswurstkonkurrent St. Gallen hatte etwas gegen die Glarner Version der Kalbswurst einzuwenden. Als dort im Jahr 1926 ein Polizist herausfand, dass das Brät in den Glarner Würsten mit Brot gestreckt wird, klagte er die Produzenten bei den Glarner Behörden ein. Diese wollten die ganze Sache juristisch klären, war in den Glarner Nachrichten, in einem ironischen Artikel zu lesen: „da sie ihr Leibgericht über alles schätzen und es auch nicht verunglimpfen lassen wollen; die St. Galler planen, wenn alle Stricke reissen, das Haager Schiedsgericht anzurufen, da sie eine unparteiische Beurteilung durch das Bundesgericht nicht mehr erwarten, seitdem sie erfahren haben, dass Mitglieder desselben hie und da sich dieses köstliche Gericht aus dem Tale der Linth kommen lassen.“
Der Glarner Kalberwurststreit hatte im Jahre 1992 endlich ein Ende. Seither erlaubt das neue schweizerische Lebensmittelgesetz das Beimischen von Brot zum Wurstbrät. Die Glarner können nun ihre Kalberwurst ganz legal geniessen. Überall in der Schweiz.
Das älteste von uns gefundene schriftliche Zeugnis, dass im Kanton Glarus die Kalberwurst hergestellt wird, ist gut 150 Jahre alt. In der Beschreibung „Der Kanton Glarus“ aus dem Jahr 1846 erwähnen die Autoren die Kalberwurst schon als „dem Glarnerland eigenthümlich“.
Die gängige Erklärung für die Entstehung des speziellen Rezeptes ist, dass man in Glarus während den Hungerjahren zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Fleisch, welches Mangelware war, mit altem Brot streckte. Somit wäre die Glarner Kalberwurst aus der Not geboren worden. Da die grossen Krisen im 19. Jahrhundert jedoch Getreidekrisen waren und gerade Weissbrot damals unerschwinglich war, ist diese Entstehungsgeschichte eher unwahrscheinlich. Der Zusatz von Weissbrot, Ei und Milch deutet vielmehr auf eine Glarner Luxusvariante der Kalbswurst hin. Auch im oben erwähnten Buch "Der Kanton Glarus" loben die Autoren die Ernährungsbedingungen der Fabrikbevölkerung und des Mittelstandes in den grösseren Glarner Ortschaften. Mindestens einmal in der Woche komme da Fleisch auf den Tisch.
Bewiesen ist jedoch nichts. Möglicherweise entsprang die spezielle Rezeptur auch einfach der Fantasie eines findigen Glarner Metzgermeisters. Und abgesehen davon ist es nicht ungewöhnlich, das Wurstfleisch mit nicht-fleischlichen Zutaten zu mischen, respektive zu strecken. In Graubünden werden auch Kartoffeln verwurstet, im gemüsereichen Wallis Randen.
Die Kalberwurst war schon im 19. Jahrhundert ein Festtagsessen. Zusammen mit Kartoffelstock und gedörrten und gekochten Zwetschgen ist sie bis heute das traditionelle Landsgemeindemenü. Ihr Verkauf nimmt vor dem Landsgemeindesonntag deutlich zu, denn sowohl in den Privathaushalten als auch in den Gasthäusern wird die Spezialität gekocht.
2011 erhielt die Glarner Kalberwurst das IGP-Siegel und ist seite dem gleichen Jahr auch markenrechtlich geschützt. Die Kontrolle der Produkte hat der Verein Freunde der Glarner Kalberwurst inne.
Produktion
Fast die Hälfte des Wurstinhalts besteht aus Kalbfleisch, die Milch macht noch einmal ein Drittel aus, das Brot jedoch nur etwa vier Prozent. Gewürzt wird mit Kochsalz, Pfeffer, Macis, Muskatnuss und Zwiebeln. Um der Brätmasse eine genügende Konsistenz zu verleihen, muss man heute, da das Fleisch nicht mehr schlachtwarm verarbeitet wird, Kutterhilfsmittel beigeben. Schon seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stellt man die Brätmasse mit dem Blitz her, vorher musste das Fleisch mit dem Wiegemesser in mühsamer Handarbeit so fein wie möglich zerkleinert werden. Zuerst verarbeitet der Metzger Weissbrot, Milch und Eier im Blitz zu einem Teig. Danach stellt er in der gleichen Maschine das Fleischbrät her. Dem Kalbfleisch und Wurstspeck muss man einen bestimmten Anteil an Eis zugeben, damit es von der Rotation in der Maschine nicht zu stark erwärmt wird. Wenn das Fleisch schon zu einem relativ feinen Brät zerkleinert ist, gibt der Metzger den Brotteig und die Gewürze zur Brätmasse.
Das Wurstbrät wird anschliessend mit Hilfe der Spritze, einem vollautomatischen Wurstfüller, in den Rinderdarm gefüllt. Die beiden Enden der Wurst werden von Hand abgedreht.
Die rohen Würste sind maximal drei Tage haltbar. Deshalb werden sie nur in kleinen Quantitäten hergestellt. Insbesondere die kleineren Metzgereien verkaufen ihre Kalberwürste ausschliesslich im rohen Zustand. Um die Haltbarkeit zu verlängern erwellen die grösseren Metzgereien die Würste für eine halbe Stunde bei 75 Grad, verpacken luftdicht und pasteurisieren sie danach. Dadurch bleiben die Würste gekühlt zehn Tage haltbar.
Konsum
Die Glarner Kalberwurst hat man nach dem zweiten Weltkrieg vorwiegend an Sonn- und Feiertagen im Winter gegessen. Der Grund dafür war die kurze Haltbarkeit der Würste. Bevor es auch in den Privathaushalten Kühlschränke gab, mussten die Kalberwürste rasch verzehrt werden. Deshalb produzierten die Metzger ausschliesslich für das Wochenende. An Feiertagen öffneten Metzgereien sogar am Sonntag, damit wirklich frische Würste auf die Festtagstafel kamen. Eine weitere Besonderheit: Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schenkten die Metzgermeister ihren Kunden eine oder zwei Kalberwürste zum Neuen Jahr, als Guetjahrgschängg. Das ist auch der Grund, dass die Kalberwürste zum tradtionellen Mittagessen am Neujahrstag wurden.
Heute werden die Würste das ganze Jahr hindurch konsumiert. Besonders geschätzt werden sie jedoch an speziellen kantonalen Festtagen wie der Landsgemeinde, der Näfelser Fahrt, der Chilbi und im Sommer als Grillwurst. In der Regel isst man die Kalberwurst gekocht und in einer weissen Zwiebelmehlsauce zusammen mit Kartoffelstock und gekochten, gedörrten Zwetschgen.
Wirtschaftliche Bedeutung
Im Jahr 2006 gibt es im Kanton Glarus zehn Metzgereien, welche jedes Jahr 30 Tonnen Kalberwürste erzeugen. 2013 waren es noch sieben Metzgereien.
... anderes
Sogar in den USA gibt es Glarner Kalberwürste! Im dem von Glarner Auswanderern im Jahr 1845 gegründeten Ort New Glarus im Bundesstaat Wisconsin ist die Glarner Spezialität auch seit einigen Jahren erhältlich. Die Metzgerei Hoesly’s Meats in New Glarus erzeugt sie als Old World Sausages. Hoeslys Eltern wanderten von Glarus nach New Glarus aus und begannen dort Schweizer Fleischspezialitäten herzustellen. Diese Würste dürfen nun an keinem typical swiss dinner im New Glarus Hotel fehlen!
Literatur
- Atlas der schweizerischen Volkskunde, Weiss, Richard und Paul Geiger, Basel, 1950.
- von Gunten, Fritz, Alles ist Wurst. Auf dem Wurstweg durch die Schweiz, Bern, 2006.
- Nold, Ruth, Glarner Spezialitäten, Glarus, 1981.
- Guggenbühl, Helen<BR />Lienert, Meinrad, Schweizer Küchenspezialitäten. Alte Rezepte aus allen Kantonen, Schweizer Spiegel Verlag., Zürich, 1962.
- Flüeler, Niklaus, Rund um die Wurst (1-5), Tages Anzeiger Magazin, Zürich, 1981.
- Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache, Staub, Friedrich et al..
- Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons Glarus, Heft 85, Fridolin Druck und Medien, Schwanden, 2005.
- Schweizer Volkskunde, Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, Basel, 1953.
- Heer, Oswald und J.J. Blumer-Heer, Der Kanton Glarus. VII. Heft. (Gemälde der Schweiz), Huber und Compagnie, St. Gallen/Bern, 1846.
- Schweizerisches Archiv für Volkskunde, Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, Zürich, 1900.
- Glarner Heimatbuch. Lehrmittel zum Unterricht in “Mensch und Umwelt“ für die Primarschule des Kantons Glarus, Kantonale Lehrmittelkommission Glarus, Glarus, 1992.
- Hauser, Albert, Das Neue kommt. Schweizer Alltag im 19. Jahrhundert, Zürich, 1989.
- Schweizer Würste, Saucisses suisses. Fachinformationen und Rezepturen, Schweizerischer Fleisch-Fachverband SFF, Zürich, 2006.
- Glarner Nachrichten, Glarus, 1926.
- Glarner Nachrichten, Glarus, 1926.
- Jeker, Aline, Die Glarner Kalberwürste, Proseminararbeit im Fach Volkskunde der Universität Basel, Basel, 1998.
- http://www.aoc-igp.ch/produits.php?prod=8&l=fr, 2018.
- © Schweizerische Vereinigung der AOP-IGP, Foto Glarner Kalberwurst IGP.
- https://www.srf.ch/.
www.kulinarischeserbe.ch
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Produktionsepizentrum
Kanton Glarus