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Früchtewähen / Gâteaux aux fruits/ Torte di frutta

Süsse Wähen, Früchtetünne (SH, TG, teils in SG, AG), Früchtekuchen (BE, LU), Früchtefladen ( AR, AI teils SG), Wäie

Früchtewähen / Gâteaux aux fruits/ Torte di frutta

In Kürze

Die Früchtewähe ist ein flaches, meist rundes Gebäck mit niederem Rand, das mit Früchten sowie einem Guss aus Milch oder Rahm, Eiern, Mehl und Zucker belegt ist. Früchtewähen gibt es in zahllosen Varianten. Mit geriebenem, Blätter- oder Hefeteig; der Guss kann mit Gewürzen, geriebenen Haselnüssen oder Weinbeeren angereichert werden und schliesslich sorgt die Auswahl von einheimischem Kern- und Steinobst für grosse Abwechslung.

Früchtewähen sind das ganze Jahr über schweizweit verbreitet und beliebt. Bekannt sind sie auch im süddeutschen Raum sowie im Elsass. Sie werden sowohl in Backstuben als auch in Privathaushalten gebacken. Als traditioneller Wähentag gilt vielerorts der Freitag (früher ein Fasten- bzw. fleischloser Tag), mittlerweile stehen sie aber oft täglich im Angebot.

Neben süssen Früchtewähen gibt es auch salzige Wähen. Auch Beerenwähen, vor allem aus Johannisbeeren, werden angeboten.

Neben dem Begriff „Wähe“ existieren in der Deutschschweiz drei weitere Bezeichnungen für das belegte Flachgebäck: „Tünne“ oder „Dünne“ in der Nordostschweiz, „Fladen“ in der Ostschweiz sowie „Kuchen“ (gâteaux) in den westlichen Kantonen und der Innerschweiz. Wähe selbst ist vorwiegend in den Kantonen Zürich, Aargau sowie in beiden Basel verbreitet. Das Wort lässt sich auf verschiedene mittelhochdeutsche Begriffe zurückführen: „waehe“ für etwas Kunstvolles, „wîhen“ für etwas Gesegnetes und „waejen“ für das Wehen des Windes. Laut dem Mundartforscher Oskar Rhiner spricht vieles für die dritte Variante, im Sinne von „Auseinandergelaufenem“. Tünne oder Dünne leitet sich von „dünn“ ab und nimmt ebenso wie Fladen Bezug auf die flache Form des Gebäcks. Während die Mundartbegriffe Wähe und Tünne ausschliesslich das Flachgebäck bezeichnen, beschreibt Fladen auch ein Lebkuchengebäck aus der Ostschweiz, das vor allem als Biberfladen bekannt ist. Kuchen hingegen ist in erster Linie ein Überbegriff für „feine Gebäcke aus gerührtem Teig“, wie Rhiner schreibt, und bezeichnet nur in den erwähnten Gebieten explizit ein Flachgebäck.

Beschreibung

Die Früchtewähe ist ein flaches, meist rundes Gebäck mit niederem Rand, das mit Früchten sowie einem Guss aus Milch oder Rahm, Eiern, Mehl und Zucker belegt ist.

Zutaten

Geriebener Teig, Blätterteig oder Hefeteig; diverse Früchte, vor allem Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Rhabarber, Kirschen, Aprikosen etc.; Guss aus Milch oder Rahm, Eiern und Zucker sowie diversen weiteren Zutaten wie geriebenen Haselnüssen, Weinbeeren etc.

Geschichte

Die Geschichte der Früchtewähen kann kaum von jener der salzigen Wähen getrennt werden. Sie gingen ihren Weg von einem Nebenprodukt der ländlichen Hausbäckerei zu einem eigenständigen, schweizweit bekannten Gebäck gemeinsam.

Der Begriff „wäye“ taucht erstmals im 16. Jahrhundert in Schweizer Quellen auf. Im lateinisch-deutschen Wörterbuch eines Zürcher Sprachprofessors wird er im Jahre 1556 als „Fladen oder Kuchen“ beschrieben. In der Stadt Zürich wurde dreissig Jahre später ein Dieb aktenkundig, der „mäl“ geklaut und daraus „9 brott und 2 wäyen“ gebacken hatte. Wie diese wäyen aussahen, bzw. womit sie belegt waren, bleibt unerwähnt.

Entstanden, da sind sich die Experten einig, ist die Wähe in der Hausbäckerei. Am Backtag, traditionellerweise am Freitag oder Samstag, kratzte man die Teigresten aus der Brotschüssel, „wallte (…) die so gewonnen Brotteigreste zu dünnen Fladen und drückte den Teigrand zu einem Wulst zusammen, damit der Belag nicht auslaufen konnte“, beschreibt der Volkskundler Albert Spycher. Der Belag bestand aus dem, was der Haushalt gerade hergab: Obst, Gemüse, Milchprodukte oder auch Speck.

Wie Einträge aus Kochbüchern des 19. Jahrhunderts aufzeigen, waren Wähen auch in der bürgerlichen Küche weit verbreitet. Im „Kochbuch der Catharina Fehr“ aus dem Jahre 1824 bestehen die „Apfel Dünnen“ aus einem „Buttertaig“, „geschniffelten Apfel darinn“ und einem Guss aus „Mehl, Wein, 2 Eier, Zucker und Rosinen“. Spätestens im 19. Jahrhundert entdeckten dann die gewerblichen Bäckereien die Wähe, wie Spycher anhand von Basler Zeitungsinseraten belegen konnte.

Wähen dürften ihre Ursprünge im Mitteland haben. Wie Rhiner aufzeigen konnte, waren für den Eigengebrauch gebackene Wähen bis ins 20. Jahrhundert hinein vor allem im nördlichen und östlichen Mittelland verbreitet, während sie in alpinen Regionen viel seltener vorkamen. Die Gründe dafür liegen in der Zubereitung: Im Gegensatz zu einer Suppe oder einem Mus braucht es für eine Wähe einen Backofen. Davon gab es in den Alpenregionen weit weniger als im Mittelland. Ein Eintrag im Atlas der schweizerischen Volkskunde, der sich auf eine nationale Untersuchung über das Alltagsleben in den 1930er Jahren bezieht, zeigt zudem auf, dass in den alpinen Regionen, wo durch die intensive Viehwirtschaft Milchprodukte den Speiseplan prägten, vor allem Käse- oder Rahmwähen vorherrschten, in den Obstbaugebieten des Mittellandes hingegen Früchtewähen. Heute werden in der gesamten Schweiz sowohl süsse wie auch salzige Wähen gebacken und angeboten.

Der Volkskundeatlas belegt ausserdem, dass Wähen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zentrale Fasten- und Festgebäcke waren. Am einst traditionell fleischlosen Freitag war die Wähe bis auf weite Teile der Innerschweiz sowie in den Kantonen Bern und Graubünden ein typisches Deutschschweizer Freitagsgericht. Auch im Freiburger- und Waadtland existierte dieser Brauch. Auf diese Tradition greifen heute viele Bäckereien zurück, die den Freitag als Wähentag propagieren. In der protestantischen Westschweiz galten die gâteau aux fruits dagegen als Festgebäck, das traditionell am Bettag verspeist wurde (siehe gâteau aux pruneaux du Jeûne). In der Ostschweiz waren Früchtewähen eine Neujahrsmahlzeit.

Produktion

Teig, Früchte und Guss. Aus diesen drei Teilen besteht eine Früchtewähe. Der Teig hält die Wähe in Form und den Inhalt zusammen, die Früchte sorgen für den Geschmack und ohne Guss wäre die Wähe nur halb so gut.

Die Herstellung von Früchtewähen lässt viel Freiraum. Beispielsweise bei der Wahl des Teiges. In der von uns besuchten Bäckerei bieten sie Wähen aus geriebenem und aus Blätterteig an. Man kann auch Hefeteig verwenden. „Wichtig ist, dass der Teig schön dünn ausgerollt ist“, kommentiert der Bäcker, „im Vordergrund sollen ja die Früchte stehen. Zudem sollte man den Teig gut ausbacken, sodass er den Belag auch zu tragen vermag. Er sollte auf keinen Fall pampig sein.“

Bei den Früchten ist die Auswahl noch grösser als beim Teig: Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Kirschen, Aprikosen und Rhabarber sind am Häufigsten. Die meisten dieser Früchte sind dank Importen und Tiefkühltechnik das ganze Jahr über erhältlich. Die entkernten und entsteinten Früchte werden halbiert, in Stücke geschnitten oder auch geraffelt grosszügig auf den Teig verteilt. „Sparen kann man beim Teig oder Guss“, führt der Bäcker aus. „Vorsicht ist übrigens bei jenen Früchten geboten, die gerne saften, wie Kirschen oder Zwetschgen, da verwenden wir einen Saftbinder.“

Der Guss sollte ein Bindemittel enthalten, damit er sich im Verlaufe des Backprozesses verfestigt. Das können Eier, Mehl und Stärke oder auch Vanillecreme sein. Hinzu kommt eine Flüssigkeit, wobei sich vor allem Milch und Rahm empfehlen, oder ein wenig Wein. Gewürze, Zucker, geriebene Nüsse, Weinbeeren und weitere Zutaten runden den Guss ab, der schliesslich über die ausgebreiteten Früchte gegossen wird. Abschliessend kommt die Wähe für knapp eine Stunde bei etwa 200 Grad und Unterhitze in den Ofen. In gewissen Bäckereien glasiert man die Oberfläche oder bestaubt sie mit Puderzucker.

Konsum

Früchtewähen werden heute vorwiegend kalt und in handliche Stücke geschnitten konsumiert. Immer beliebter sind laut dem besuchten Bäcker Früchtewähen im runden Kleinformat, die etwa der Grösse eines normalen Wähenstückes entsprechen. Früchtewähen sind auch als Dessertgebäck, oft mit etwas Schlagrahm garniert, populär. „Es geht jedoch nichts über eine selbst zubereitete und frisch aus dem Ofen kommende Wähe“, gibt der Bäcker unumwunden zu.

Noch immer führen gewisse Bäckereien die Tradition des Wähentages fort und bieten am Freitag eine grosse Palette an süssen und salzigen Wähen an, so auch die besuchte Bäckerei.

Wähen, süsse wie salzige, sind bis heute ein häufiges und ganz typisches Essen in Schweizer Privathaushalten. In vielen Familien steht praktisch wöchentlich eine oder mehrere frisch zubereitete Wähen zum Zmittag oder Znacht auf dem Esstisch.

Wirtschaftliche Bedeutung

Früchtewähen gehören in praktisch jeder Schweizer Bäckerei mindestens einmal wöchentlich zum Angebot. Die besuchte Bäckerei stellt beispielsweise dreimal wöchentlich Früchtewähen sowie salzige Wähen her, am Montag und Mittwoch etwa 25 Stück, am Freitag bis zu 150.

Vom Absatz her ist der Trend bei den Wähen eher rückläufig. Das Snackangebot in den Bäckereien ist heute grösser als noch vor wenigen Jahren.

Literatur

  • Atlas der schweizerischen Volkskunde,   Weiss, Richard und Paul Geiger,   Basel,   1950.  
  • Morel, Andreas,   Basler Kost. So kochte Jacob Burckhardts Grossmutter,   Morel, Andreas,   Basel,   2000.  
  • Rhiner, Oskar,   Dünne, Wähe, Kuchen, Fladen, Zelten. Die Wortgeographie des Flachkuchens mit Beleg und ihre volkskundlichen Hintergründe,   Frauenfeld,   1958.  
  • Rytz, Lina,   Neues Berner Kochbuch,   Bern,   1835.  
  • Christ, Robert,   Schweizer Dialekte,   Basel,   1965.  
  • Strübin, Eduard,   Jahresbrauch im Zeitenlauf,   Verlag des Kantons Basel Land,   Liestal,   1991.  
  • Messikommer, Heinrich,   Aus alter Zeit. Bäuerliche Speisekarte im zürcherischen Oberlande bis ca. 1840. Band III,   Orell Füssli Verlag,   Zürich,   1911.  
  • Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache,   Staub, Friedrich et al..  
  • Hauser, Albert,   Vom Essen und Trinken im alten Zürich,   Verlag Berichthaus,   Zürich,   1973.  
  • Hauser, Albert,   Das Neue kommt. Schweizer Alltag im 19. Jahrhundert,   Zürich,   1989.  
  • Allerhand Confect, Lattwerig-Werk und eingemachte Sachen. Das Kochbuch der Dorothea Welti-Trippel, Zurzach 1751,   Hist. Vereinigung des Bezirks Zurzach,   Zurzach,   2002.  
  • Spycher, Albert,   Back es im Öfelin oder in der Tortenpfann,   Schwabe AG,   Basel,   2008.  
Konditorei- und Backwaren Drücken

Produktionsepizentrum

Früchtewähen werden schweizweit hergestellt.

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