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Sauerrüben und Sauerkraut

Französisch: choucroute, compote de choux (veraltet); compote aux raves, sourrieb (veraltet); Deutsch: Sauerkraut, Sauerrüben; Italienisch: crauti, rape acidule

Sauerrüben und Sauerkraut

In Kürze

Sauerkraut und Sauerrüben sind gegorene, in dünne Streifen geschnittener Weisskohl beziehungsweise gegorene, in dicke Fäden geschnittene Weissrüben. Hinweise über diese  Konservierungstechnik lassen sich seit Ende des Mittelalters an mehreren, innerhalb der heutigen Schweiz gelegenen Orten, sowohl in der Westschweiz als auch in der Deutschschweiz, nachweisen. Seither hat sich diese Tradition fortgesetzt und ist derzeitig in der gesamten Schweiz, ausser im Tessin, fest etabliert. Die auf rohem Weisskohl basierende Gärtechnik, wie wir sie heute kennen, wurde im 17. Jahrhundert oder eventuell schon früher aus damaligen germanischen Gebieten eingeführt. Vermutlich veranlasste dies zur Annahme, dass der gegorene Kohl eine Spezialität germanischen Ursprungs ist, was nicht ganz zutrifft.

Heute ist Sauerkraut weltweit bekannt und erfreut sich in der Schweiz nach wie vor grosser Beliebtheit. Sauerrüben sind in einigen Regionen noch sehr begehrt, tauchen jedoch als Nischenprodukt immer seltener auf dem Speiseplan schweizerischer Haushalte auf. 

Beschreibung

Kohl oder Rüben in feinen gegorenen Streifen; Farbe: weisslich

Zutaten

Sauerkraut: Weisskohl, Kochsalz, Antioxydationsmittel, Ascorbinsäure

Sauerrüben: Weissrüben, Kochsalz, Antioxydationsmittel, Ascorbinsäure

Geschichte

Die  Entstehung der heutigen Bezeichnungen: Sauerkraut (Deutsch), compote, choucroute (Französisch) und  crauti (Italienisch) spiegelt die entsprechenden Produkte vor dem Hintergrund ihrer Geschichte wider, die sich über die kulturellen Grenzen zwischen den germanischen und romanischen Gebieten Europas hinweggesetzt hat. Laut Inventaire du patrimoine culinaire de la France: Alsace (1998) taucht der Begriff Gumbskrut im 13. Jahrhundert im Elsass als Bezeichnung für gegorenes Kraut auf. Gumbs ist aus der lateinischen Wurzel composita gebildet, aus der compote wurde, wohingegen krut aus einer germanischen Wurzel (Gras und im erweiterten Sinne: Kraut) abgeleitet ist.  Zur gleichen Zeit (1270) - wie im Glossaire des patois de la Suisse romande nachzulesen ist - wird in den Rechnungsbüchern am Hof von Savoy in Chillon der Kauf von Kohl  für die Verarbeitung zu Sauerkraut  (lateinisch: composta) erwähnt. Gemäss Schweizerisches Idiotikon sind die Begriffe Gumpost und Krut  ebenfalls in der Deutschschweiz seit ungefähr 1300 nachweisbar.

Der Ausdruck Surkrut wiederum, von dem sich das deutsche Wort Sauerkraut (wörtlich: saures Gras) ableitet, tauchte in der Zeit des 16. Jahrhunderts im Elsass auf. Die ältesten Aufzeichnungen über Rüben, die nach diesem Säuerungsverfahren hergestellt wurden, stammen aus derselben Epoche. So schreibt der Elsässer Jérôme Bock in seinem Kräuterbuch (1539) : "… andere saltzen di Rüben ein wie den Kumpost (choucroute)… "; weiter heisst es  in den Rechnungsbüchern des Klosters Hauterive (1565) : "Ung carteron de raves pour faire de laz conpotaz." 

Wie aus dem Glossaire des patois de la Suisse romande  hervorgeht, existierten lange Zeit zwei unterschiedliche Verarbeitungstechniken nebeneinander, von denen die eine auf geraspeltem  Rohgemüse und die andere auf gekochtem, gröber geschnittenem und wahrscheinlich in Essig eingelegtem Gemüse beruhte. Letztgenannte Methode  wurde schnell von ersterer verdrängt und Ende des 19. Jahrhunderts schliesslich vollends aufgegeben;  das Schweizerisches Idiotikon (1885) bewertete sie als veraltet, obwohl sie in der Westschweiz vermutlich noch für eine Weile überlebte. Die auf rohem Kohlgemüse basierende Herstellungsmethode entstand in der germanischen Kulturepoche des 17. Jahrhunderts oder eventuell schon früher. Ein indirekter Beweis hierfür mag sein, dass  zeitgleich mit dem Einzug dieser Technik in die Westschweiz auch der Begriff surcrute eingeführt wurde, wie in einer Neuenburger Aufzeichnung von 1699 ausgewiesen ist. Anschliessend wurde der Begriff in  fehlerhafter Abwandlung als choucroute in die französische Standardsprache übernommen. Dennoch wurden die alten Bezeichnungen wie compote (Westschweiz), Kumpost (Elsass), Gumpist (Deutschschweiz) bis Anfang des 20. Jahrhunderts für alle gegorenen Gemüsesorten, insbesondere für Kohl und Rüben verwendet. In der Westschweiz hat der Begriff "compote de raves" für Sauerrüben  bis heute überlebt. In der Encyclopédie de Diderot et D’Alembert (1751-1765) wird das Sauer-kraut als eine deutsche Spezialität beschrieben, und die  Encyclopédie d’Yverdon (1770-76) enthält ein Rezept   "pour faire la compote de choux à la manière des Suisses" ( für  die Herstellung von Sauerkraut nach Schweizer Art).  

In ihrem Buch Histoire de l’alimentation (1996) betonen Jean-Louis Flandrin und Massimo Montanar den hohen Stellenwert, der dem Kohlgemüse im 18. Jahrhundert in der Ernährung der französischen Bauern beigemessen wurde. Weiter präzisieren sie: "Eigentlich erfreute sich ganz Mittel- und Osteuropa, von Flandern bis nach Russland, (...)  am Genuss des Sauerkrauts - und  anderer gegorener Gemüsesorten wie z.B. Rüben, die Montaigne in Augsburg hat zerhacken sehen (...)". In seinen Soupes et citrons (2002) verweist der Historiker François de Capitani auf die grosse Bedeutung des Sauerkrauts im Kanton Waadt am Ende des Ancien Régime. Kohl ist ein  Nahrungsmittel für den täglichen Verzehr, das sich den Winter über leicht  lagern lässt, "sei es in unterirdischen Kuhlen sei es in Bottichen oder Fässern als Sauerkraut". Diese für die Gesamtheit der Schweiz geltende Bedeutung wird in zahlreichen Erwähnungen nicht nur im Schweizerischer Idiotikon  und  Glossaire des patois de la Suisse romande sondern auch im Historisches Lexikon der Schweiz (Artikel "Gartenbau: Subsistenzorientierter Gartenbau bis 1850", von Margrit Irniger) bestätigt.

Zur Zeit des 19. Jahrhunderts fanden Sauerkraut und Sauerrüben schweizweit in einer Vielzahl von Schriften Erwähnung, von denen einige hier angeführt seien: In Der Kanton Solothurn (1836) heisst es, dass  Sauerkraut und weisse Rüben zu den Nahrungsmitteln gehören, die zum Mittagessen auf den Tisch kommen:  "Das Mittagessen besteht aus einer Bohnen- oder Erbsensuppe, welcher ein Gemüse: als gedörrtes oder grünes Obst, Sauerkraut, weisse oder gelbe Rüben, Bohnen usw. folgt, auf welches dreimal in der Woche geschnittener Speck geschüttet wird." Für den Aargau wird in  Der Kanton Aargau, historisch, geographisch, statistisch geschildert  (1844) berichtet,  dass in dieser Region die Rüben und der Kohl frisch oder in konserviertem Zustand als Sauerkraut verzehrt wurden. Im Intelligenz Blatt für die Stadt Bern erschienen zwischen 1834 und 1888 zahlreiche Angaben zum Verkauf von Sauerkraut und Sauerrüben. 

Im Kanton Bern kommt dem Gürbetal eine zentrale Stellung in der Produktion von gegorenem Gemüse, hauptsächlich Sauerkraut und Sauerrüben zu. Der Anbau des Gemüses wurde erstmalig bei Jeremias Gotthelf in dessen Kalendar-geschichten (1844) erörtert: "Und die Kabinettsköpfe wachsen auf die Kabisköpfe auf dem Thurnenmoos."  Seit 1836, im Anschluss an die Korrektur der Gürbe, die dem Tal seinen Namen gab, wird dieses Gebiet für den Kohlanbau genutzt. In der Veröffentlichung Gürbetal  (1935) wird erwähnt, dass das Tal nunmehr für seine Kohlköpfe bekannt sei, die insbesondere nach Bern geliefert würden. Ein grosser Teil der Produktion der Gemeinde Mühleturnen und Umgebung ist für die Weiterverarbeitung in den Sauerkrautfabriken von Mühlethurnen und Burgistein bestimmt. Noch heute wird das Gürbetal Chabisland genannt.

Der Sauerkrautkonsum entwickelte sich sehr stark in der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ab 1950 setzte parallel zur Abkehr von bäuerlicher Lebensweise ein rückläufiger Trend ein. Nach und nach wandelte sich das Sauerkraut von einem alltäglichen Nahrungsmittel zu einer Spezialität, die als solche in Restaurants und Brasserien angeboten wird. Die Verarbeitung von Kohl und Rüben zu Sauerkraut und Sauerrüben wird heute von professionellen Produzenten wahrgenommen, deren Fabriken für die Herstellung  von Sauerkraut insbesondere in den Kantonen Zürich und Bern (Gürbetal und Seeland) und für die Herstellung von Sauerrüben hauptsächlich im Aargau angesiedelt sind. Aus den privaten Haushalten ist die Tradition des selbstgemachten Sauerkrauts praktisch verschwunden. Dennoch wird  Sauerkraut heute überall in der Schweiz als Spezialität sehr geschätzt. Es wird entweder im Einkaufszentrum gekauft und zuhause zubereitet oder im Restaurant verspeist. Sauerrüben haben sich als Spezialität eher zu einem kulinarischen Geheimtip entwickelt.

Produktion

Zuerst wird die  Kohlpflanze von den äusseren Blättern befreit. Dann wird der Strunk mit einer Kohlbohrmaschine herausgebohrt. Mit rotierenden Messern wird der Kohl in feine Streifen geschnitten. Früher wurde hierfür ein  Sauerkrauthobel benutzt. Dann wird dem geschnittenen Kohl Salz im Verhältnis von 2 bis 2,5% vom Frischgewicht hinzu dosiert. Der gesalzene Kohl wird in die Gärsilos gefüllt und gepresst. Die Gärsilos werden luftdicht verschlossen. Sodann setzt eine spontane Milchsäuregärung ein. Die Gärsilos  müssen in einem Raum mit einer Umgebungstemperatur zwischen 15 und 18°C  untergebracht sein. Nach 3 bis 4 Wochen ist das Sauerkraut bereits verzehrfertig. Eine längere Lagerzeit, so wie früher im Falle hausgemachter Produktion, die nach und nach verzehrte wurde,  ist (bei einer Haltbarkeit bis zu einem Jahr) ebenfalls möglich. Mit zunehmender Lagerzeit steigt der Säuregrad des Sauerkrauts. Die Konsumenten von heute tendieren zu einem eher milden Geschmack: deshalb wird das Sauerkraut pasteurisiert, wodurch der Gärprozess abgebrochen wird.
Die Herstellung von Sauerrüben stimmt  in allen Punkten mit derjenigen des Sauerkrauts überein.

Konsum

Der Verband schweizerischer Sauerkrautfabrikanten, beschreibt den "typischen" Sauerkrautkonsumenten als eine 45 bis 60 jährige, ausserhalb der Städte lebende Person. Traditionsgemäss werden Sauerkraut und Sauerrüben  ab Oktober und den ganzen Winter über konsumiert.
Als Sauerkraut wird nicht nur gegorenes Gemüse als solches sondern auch die  daraus zubereitete Speise bezeichnet. Das Sauerkraut wird zusammen mit Speck in einer Brühe, in Wein und mit Gewürzen (z.B. Wacholderbeeren, Gewürznelken, Kümmel) gekocht. Anschliessend werden Würste und gegebenenfalls auch andere Fleischstücke hinzugefügt. Gegen Ende der Kochzeit werden auch gerne noch Kartoffeln dazu gegeben. Sauerkraut und Sauerrüben werden in gleicher Weise konsumiert und oftmals sogar kombiniert in einem Gericht serviert.

Hier noch einige regionale Varianten: Gemäss De choux et de choucroute (1994) wird Sauerkraut im Thurgau mit Schweinefleisch zubereitet und mit einer Blätterteigschicht bedeckt; in Schaffhausen wird es mit Kümmiwürsten gegessen. Und im Jura gehört es oft zum traditionellen St. Martins-Schmaus.

Wirtschaftliche Bedeutung

In der Schweiz gibt es sieben Fabriken, die beträchtliche Mengen an Weisskohl verarbeiten. 2007 wurden aus 5'000 Tonnen Kohl ungefähr 2'500 Tonnen Sauerkraut hergestellt.

Die grösste Sauerkrautproduktion hat ihren Standort in Hinwil (ZH). Der Kaufpreis im Supermarkt beträgt jeweils  CHF 4.80,- für pasteurisiertes Sauerkraut und  CHF 5.80,- für pasteurisierte Sauerrüben (2008).

... anderes

Auch in Italien ist Sauerkraut unter der Kurzbezeichnung "crauti" bekannt. Im Atlante dei prodotti tipici: le conserve (2004) ist es als Spezialität aus dem Trentino-Alto Adige und der Friuli-Venezia Giulia eingetragen. In diesen Regionen wird es zusätzlich mit einer Zwiebel,  einer Karotte und  Pancetta affumicata (geräucherter Speck), Pfeffer und Wacholderbeeren zubereitet und mit - vorzugsweise geräucherten -  Würsten gegessen.

Literatur

  • Knecht, Pierre,   Dictionnaire suisse romand,   Zoe,   1997.  
  • Rytz, Lina,   Neues Berner Kochbuch,   Bern,   1835.  
  • Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache,   Staub, Friedrich et al..  
  • Bronner, Franz Xaver,   Der Kanton Aargau historisch, geographisch, statistisch geschildert. 2 Bde. 1. Bd. (Gemälde der Schweiz),   St. Gallen, Bern,   1844.  
  • Flandrin, Jean-Louis <BR />Montanari, Massimo,   Histoire de l'alimentation,   Fayard,   Paris,   1996.  
  • Strohmeier, U. Peter,   Der Kanton Solothurn. X. Heft. (Gemälde der Schweiz),   Huber und Compagnie,   St. Gallen/Bern,   1836.  
  • De Capitani, François,   Soupes et citrons. La cuisine vaudoise sous l'Ancien Régime,   Éditions d'en bas,   Lausanne,   2002.  
  • Favre, Joseph,   Dictionnaire universel de cuisine pratique,   Omnibus,   2006.  
  • Dictionnaire historique de la Suisse,   2006.  
  • Lebey, Claude (dir.),   L’inventaire du patrimoine culinaire de la France: Alsace,   Ed. Albin Michel-CNAC,   Paris,   1998.  
  • Beaud, Louis,   Louis Beaud - recettes diverses,   milieu-fin XIX.  
  • Collectif,   Glossaire des patois de la Suisse romande, Tome IV (chok - czar),   V. Attinger,   Neuchâtel ; Paris,   1961-1967.  
  • Intelligenz Blatt für die Stadt Bern,   1834-1888.  
  • Badoud, E.,   Lettre du 4 juillet 1900 au Président du Conseil d'Etat du canton de Neuchâtel,   Archives de l'Etat de Neuchâtel - Archives du département de l'agriculture, II, 111,   1900.  
  • Rey, Alain (dir.),   Dictionnaire historique de la langue française,   Dicorobert,   Paris,   1992.  
  • http://www.powerkraut.ch/site/Main.php?Lng=FR,   ?.  
  • Leuenberger, Werner <BR />,   Das Guerbetal : eine landeskundliche Studie,   Solothurn,   1935.  
  • Loesch, Jeanne,   De choux et de choucroute,   Éditions du Rhin,   Mulhouse,   1994.  
Früchte, Gemüse, Pflanzen Drücken

Produktionsepizentrum

Sauerkraut: hauptsächlich Kantone Zürich und Bern (Gürbetal, Seeland); Sauerrüben: hauptsächlich Aargau

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